Die Katakomben von Melbourne

Das moderne Gewand der „Australian Open“: Viel Beton und kein Platz für Ziegen  ■  Aus Melbourne Herr Thömmes

Die Tennisanlage in Kooyong war bis vor zwei Jahren nicht nur Austragungsort der „Offenen Australischen Tennismeisterschaften“, sie war auch Herberge für eine Ziege. Ganz richtig, eine Ziege. Die pflegte, unbeirrt vom Trubel dieses Grand-Slam-Turnieres, vor sich hin zu mampfen'und war so etwas wie ein Symbol für die „Wir-sind -alle-eine-Familie„-Atmosphäre, die in jenem Melbourner Vorort herrschte.

Aber das vor mehr als sechzig Jahren gebaute Stadion in Kooyong hatte im Tenniszirkus von heute keinen Platz mehr. Der Centre Court faßte wie die gesamte Anlage zu wenig Zuschauer, Spieler und Journalisten fanden lausige Arbeitsbedingungen vor, die Rasenplätze reichten wohl noch zum Grasen, kaum aber mehr zu vernünftigem Tennisspiel. John McEnroe beispielsweise, der das Turnier mied, wann immer er konnte, schimpfte: „Wenn man hier ans Netz vorrückt, läuft man bergauf.“ Alle Bemühungen des Nationalen Tennisverbandes, die „Australian Open“ zukünftig zu einer festen Größe bei den ganz großen Veranstaltungen zu machen, drohten zu scheitern. Immer weniger Spitzenspieler fanden den Weg nach „Down Under“, zumal auch der Termin Anfang des Jahres nicht in ihre Planung paßte.

Kostspieliges Lifting

Also wurde das Ganze gründlich geliftet. Aus Imagegründen wurde der Name der „Lawn Tennis Association of Australia“ in ein modern-griffiges „Tennis Australia“ geändert, und unweit des Stadtzentrums wurden sechs Hektar öffentliches Gelände des Flinders Parks in das neue „National Tennis Centre“ verwandelt. Dabei übernahm die Regierung eine Bürgschaft für die Kosten von 150 Millionen Mark mit der Bedingung, das Stadion müsse auch für andere Zwecke zur Verfügung stehen können. Hauptsächlich finden hier jetzt Popkonzerte statt.

Ergebnis: Ein Centre Court für 15.000 Zuschauer mit seinem berühmten Schiebedach, das sich bei Regen in 28 Minuten schließen läßt und den Platz in eine vollklimatisierte Halle verwandelt, zwei weitere Plätze für zusammen 9.000 Fans, sowie fünf Hallen- und dreizehn Freiluftcourts.

Im vergangenen Jahr hatten die neuen Australian Open Premiere, alle waren des Lobes voll und schwelgten in Superlativen. „Whow, was für ein Stadion“, rief entzückt Martina Navratilova, und für Ivan Lendl war es schlicht „das Beste überhaupt“. Die Ziege von Kooyong allerdings hatte der Verband beim Umzug am alten Ort belassen, vernünftigerweise, denn hier fände das gute Tier nicht allzuviel zu knabbern.

Modernes Bauen heißt vor allem Beton und Metall. Das immer noch reichlich vorhandene Grün ist schlichtweg Farbe. Der Mangel an Natur wird durch Topfblumen und kleine Bäumchen in den Ecken der Tennisplätze behoben, Pflanzen, die ansonsten bei aufgebahrten Särgen Verwendung finden. Gespielt wird nicht mehr auf Gras, sondern auf Rebound Ace, einem Hartgummibelag mit Acrylüberzug - auch der in freundlichem Grün.

Modern heißt auch funktional: kurze Wege und möglichst viel Ruhe für die Spieler; Möglichkeiten für die Sponsoren, sich optimal zu präsentieren; nur das Beste für die Presse, denn deren Wohlbefinden spiegelt sich in der Berichterstattung wider. Der moderne Journalist muß nicht mehr zu den Ereignissen und Menschen, sie kommen zu ihm. Umgeben von Monitoren, Graphiken und Papieren, den Interviewraum keine zehn Schritte entfernt, den Lift zum Centre Court um die Ecke, läßt sich die frohe Kunde des Dreisatzsieges geschwind verarbeiten.

Nicht mehr hinwegzudenken aus dem heutigen Tenniszirkus sind auch jene weißen Zelte, in denen von wohlriechenden Menschen vorzugsweise Langusten in Champagner ertränkt werden. Sie belassen dem Turnier auch in der Zeit, in der Tennis zum Breitensport geworden ist und die Aktivitäten der Sportartikelproduzenten auf diesen Markt ausgerichtet sind, einen kleinen Hauch von Exklusivität. Und für einen Konzern wie den Hauptsponsor Ford, dessen Schriftzug hier wirklich allgegenwärtig ist, bietet sich die nette Gelegenheit, besonders verdienten Mitarbeitern - der freie Westen kennt keine Orden - kulinarisch-sportlich einen herzlichen Dank auszusprechen.

Gladiatorenkämpfe

Es ist aber keineswegs dieses bißchen Dekadenz, welches beim Melbourner „Herald“ Erinnerungen an die alten Gladiatorenkämpfe in Rom wachrief. Vielmehr habe das ganze National Tennis Centre etwas vom Kollosseum: das Gelände ist ausgehöhlt und mit unzähligen Gängen und Räumen versehen, vergitterte Tore trennnen diese Katakomben von den wichtigen Courts, und wenn die Spieler in die Helligkeit treten, blinzeln sie erstmal überrascht in die Sonne.

Aber das sind krumme Gedanken, der Reporter des Wirtschaftsblattes 'Financial Times‘ fühlte sich beim Rundgang im Flinders Park, als wäre er „in die Zukunft getreten“. Dieses Tenniszentrum sei wegweisend für das 21. Jahrhundert. Er dachte dabei allerdings weniger an die Tatsache, daß es im National Tennis Centre von Melbourne weder Arrestzellen noch Aufenthaltsräume für die Polizisten gibt. Dies sei, heißt es hier, lediglich ein Planungsfehler.