Italiens Arbeiter vor neuer Solidarität

Die überraschende Neuformation der italienischen Arbeiterschaft bereitet einen Generalstreik vor / Der Versuch der Industrie, die angeschlagene Arbeiterschaft zu schwächen, ging nach hinten los / Empörung über Amnestie von Steuersündern  ■  Aus Rom Werner Raith

Was zehn Jahre verzweifelter Anstrengungen von Gewerkschaftsbossen und kommunistischen Funktionären nicht vermocht haben - ein verunglücktes Finanzmanöver der Regierung und eine Reihe hinterhältiger Aktionen des größten Privatkonzerns Fiat gegen Gewerkschaftsangehörige haben es möglich gemacht: Fast aus heiterem Himmel hat Italiens Arbeiterbewegung ihre Spaltung in Tausende kleiner Fraktionen überwunden und zu einem Generalstreik aufgerufen. Mindestens vier Stunden soll noch im Januar die Arbeit auf allen Gebieten ruhen. Mächtige Demon strationen im römischen Regie rungsviertel sollen den Herr schenden zeigen, daß die Schmerz grenze erreicht ist.

Erster Grund für die neue Einigkeit zwischen alten Dachgewerkschaften (die kommunistische CGIL, die katholische CISL und die sozialistische UIL) und den abgespaltenen autonomen Gruppen und Basiskomitees (COBAS) ist das sogenannte „Manöver vom Jahresende“ der Regierung: ein Finanzprogramm, das neben deutlichen Einschnitten ins sowieso nicht allzu feudale soziale Netz eine Art Amnestie für Steuersünder vorsieht - speziell für den Mittelstand, also Selbständige, Handwerker und Händler. Während die Arbeiter ihre Steuern schon vor der Lohnauszahlung abgezogen bekommen, hinterziehen die Selbständigen ihre Abgaben unbekümmert seit Jahrzehnten. Allein die - nicht besonders scharfen - Nachprüfungen im verangenen Jahr haben mehr als umgerechnet 20 Milliarden Mark Steuerverkürzung durch diese Gruppe ergeben - die reale Gesamtsumme schätzen Experten auf mehr als 100 Milliarden Mark, genug, um das jährliche Defizit des Staates problemlos zu stopfen. Doch statt dessen hat die Regierung nun eine „Entschuldigung“ der Sünder verkündet, angeblich als Zeichen guten Willens und um die Hinterzieher zu mehr Steuerdisziplin in der Zukunft anzuhalten.

Zweiter und möglicherweise langfristig noch wirksamerer Grund für die Wut der Arbeiter ist eine Reihe in den letzten Tagen bekanntgewordener Fälle, wonach große Industrieunternehmen, allen voran der Turiner Auto-, Flugzeug- und Waffenhersteller Fiat, in den Betrieben Gewerkschaftsmitglieder unter Druck setzen. Mit Drohungen bis hin zur Entlassung und Aufnahme in eine „schwarze Liste“ will man sie zum Austritt aus ihren Organisationen bewegen. Die PCI-Leitung hat ein „Schwarzbuch“ darüber veröffentlicht: 130 akribisch dokumentierte Fälle von Repression.

Offenbar waren die Industriellen einem Irrtum aufgesessen: Die Tatsache, daß den großen Gewerkschaften in den letzten Jahren ihre Mitglieder scharenweise davongelaufen waren (mehr als zwei der einst sechs Millionen), hatte die Illusion hervorgerufen, man könne nun auch den Rest der Arbeiterbewegung zerschlagen. Doch die ausgetretenen Arbeiter waren keineswegs bewegungsabstinent geblieben, sondern hatten sich anderweitig zusammengeschlossen - und sehen sich nun genauso wie die Großgewerkschaften durch den Druck der Firmenleitung bedroht.

Innerhalb der Regierung sind die Meinungen gespalten: Während die „Mittelstandshüter“ in der christdemokratischen Partei verschreckt nur einige kosmetische Korrekturen an den Vorhaben anbringen wollen, fordern die Sozialisten publikumswirksam eine „totale Revision des Manövers vom Jahresende“ - doch dagegen stehen die Republikaner, die ihren Großsponsor Fiat stärken wollen und Ministerpräsident Ciriaco de Mita (DC) aufgefordert haben, „den gewerkschaftlichen Kraftworten nicht allzuviel Wert beizumessen“.

Sollte der Generalstreik nicht doch noch abgewendet werden (am Freitag findet ein Spitzengespräch der Gewerkschaftsführer beim Regierungschef statt), wäre dies der erste allgemeine Ausstand in Italien, seit vor zehn Jahren der letzte Versuch einheitlicher Gewerkschaftsmaßnahmen nach einer Gegendemonstration arbeitswilliger Fiat-Angestellter kläglich zusammengebrochen war.