Bürgerkrieg in Somalia

Regierungstruppen greifen systematisch Zivilbevölkerung an / 800.000 Flüchtlinge im letzten halben Jahr / Beobachter in dem afrikanischen Land können Berichte über Giftgaseinsätze nicht bestätigen / amnesty international spricht von systematischer Folter  ■  Aus Dschibuti Uwe Hoering

Bombardierung von Städten und Dörfern, Massaker an der Zivilbevölkerung, Folter, Vergewaltigung - so beschreiben MitarbeiterInnen westlicher Hilfsorganisationen die Situation in Nordsomalia. 800.000 Menschen, so wird geschätzt, wurden dort im vergangenen halben Jahr vertrieben, mehr als 350.000 von ihnen flohen über die Grenze nach Äthiopien, die Städte Hargeisa und Burao wurden zu „Geisterstädten“ zerbombt.

Piloten der somalischen Luftwaffe fliegen nach Berichten aus Dschibuti seit Anfang Januar verstärkt Angriffe gegen Dörfer in der Umgebung des strategischen Hafens Berbera, der auch der US-Marine als Stützpunkt dient. Sie sollen Befehl haben, „auf alles zu schießen, was sich bewegt“.

Aus Somalias Hauptstadt Mogadischu verlautet dagegen offiziell, im Norden herrschte Normalität. Für ausländische Journalisten ist die Region seit Mai gesperrt.

Damals hatte die Somalische Nationalbewegung (SNM) eine militärische Offensive gestartet. Stellungen der Regierungssoldaten, von denen viele zur SNM überliefen, wurden überrannt, Gefängnisse geöffnet, Hargeisa und Burao waren zeitweise in der Hand der Guerilla, Berbera wurde beschossen. Die Zahl der Toten wird inzwischen von somalischen Beamten und ausländischen Diplomaten auf 50.000 geschätzt.

Kurz zuvor hatte es noch so ausgesehen, als sei die SNM besiegt, hatte sich doch Somalia mit Traditionsgegner Äthiopien im April auf friedliche Nachbarschaft geeinigt. Das schloß neben dem Austausch von Kriegsgefangenen und Verhandlungen über die somalischen Gebietsansprüche auch ein, der bewaffneten Opposition des Nachbarn nicht länger Unterstützung und Rückzugsmöglichkeiten zu gewähren. Die Sommeroffensive demonstrierte, daß die SNM auch ohne äthiopischen Rückhalt schlagkräftig war.

Somalia ist eines der wenigen Länder Afrikas, in dem nicht unterschiedlichste Volks- und Sprachgruppen kolonial zusammengewürfelt wurden. Statt dessen konkurrieren die verschiedenen Clan-Gruppen miteinander: Im Norden dominiert der Issaq-Clan, aus dem sich die SNM vornehmlich rekrutiert; an den Schaltstellen der Macht sitzt aber der Marehan-Clan des Präsidenten Mohamed Siad Barre, dessen Heimat Südsomalia ist. Dritter Großer im Bunde ist der Clan der Hawiye, zumeist Händler und Geschäftsleute, die sich überwiegend neutral verhalten und den Ausgang des Konflikts zwischen Mogadischu und dem Norden abwarten.

Präsident Barre - 1969 nach einem unblutigen Putsch an die Macht gekommen - hat schon so manchen Sturm überstanden: mehrere Attentate, Putschversuche, die Niederlage im Krieg mit Äthiopien, eine ideologische 180-Grad-Wende, als er während dieses Kriegs den langjährigen sowjetischen Verbündeten gegen den neuen Partner USA auswechselte, wirtschaftlichen Niedergang, Streit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF).

Seit Ausbruch des Bürgerkriegs steigt die internationale Kritik an der Führung des Landes. Amnesty international urteilte im Herbst vergangenen Jahres: „Systematische Folter ist Bestandteil umfassender und langjähriger Verstöße gegen die Menschenrechte.“ Als Antwort auf die SNM-Offensive sollen Armee-Einheiten gezielt Massaker unter der Zivilbevölkerung verübt haben.

Angehörige des Issaq-Clans wurden, in Tradition der Sippenhaft und allein wegen Herkunft und Clan-Zugehörigkeit, verhaftet. Massaker, Vertreibung, Verhaftungen, Folter - so beurteilen Beobachter die Taktik der Regierung - sollten der SNM ihre Basis unter der Zivilbevölkerung entziehen.

Selbst Giftgas, so die Aussage von Flüchtlingen, soll die Armee eingesetzt haben. Bereits im Oktber hatte die SNM verbreitet, Libyen hätte Mogadischu entsprechend beliefert. Die Regierung dementierte heftig, aber auch unabhängige Beobachter konnten bislang weder Lieferung noch Einsatz bestätigen.

Mit einer diplomatischen Offensive versucht die somalische Regierung nun, ihr angeschlagenes Image aufzupolieren, das unter anderem jüngst den britischen Außenminister Howe zu der warnenden Bemerkung veranlaßte, Großbritannien könne seine Hilfe für Somalia „überprüfen“. Barre selbst startete am Montag in Ägypten eine Tournee durch arabische Länder, andere Delegationen packen die Koffer für Washington und Europa.

In einer Geste von Großzügigkeit amnestierte Barre in den letzten Monaten zahlreiche Offiziere, Beamte und Politiker, die meisten stammen aus dem Norden und waren beschuldigt, „Verbrechen gegen den Staat“ begangen zu haben. Und vor einer Woche legte die Regierungspartei ein Programm für politische und wirtschaftliche Reformen im Norden vor. Regierungsmitglieder räumten in ungewohnter Freimütigkeit ein - ob aus Einsicht oder Taktik, ist schwer zu sagen -, daß der Konflikt militärisch wohl nicht zu lösen sei.