Wiens Innenminister springt von Bord

■ Die „Lucona„-Affäre zieht mit Karl Blecha einen weiteren hohen Politiker der SPÖ in den Skandalstrudel / Verdacht auf Verschleppung der Ermittlungen gegen Versicherungsbetrüger

Wien/Berlin (ap/taz) - Knapp zwölf Jahre nach dem mysteriösen Untergang des Frachtschiffs „Lucona“ ging jetzt der österreichische Innenminister Karl Blecha über Bord.

Nach einer Sitzung des SPÖ-Vorstands erklärte der Innenminister gestern seinen Rücktritt, obwohl sich starke Gruppen in der Partei für einen Verbleib des alten Parteiarbeiters eingesetzt haben sollen. Gegen Blecha, der seit sechs Jahren im Ministeramt ist, war im parlamentarischen Untersuchungsausschuß zur „Lucona„-Affäre der Vorwurf der Zeugenabsprache und der Beeinflussung von Ermittlungen erhoben worden. Parteichef und Bundeskanzler Vranitzky nahm Blechas Rücktritt an, erklärte jedoch, damit sei keine Schuldzuweisung an Blecha verbunden. Dieser habe sich lediglich mit seiner Darstellung der Vorgänge nicht durchsetzen können. Ein Nachfolger Blechas wurde vor Redaktionsschluß noch nicht bekanntgegeben.

Blecha selbst nannte als Grund für seinen Rücktritt einen „Vernichtungsfeldzug“ der Medien, dem er entgehen wollte. Der Vizevorsitzende der SPÖ und letzter noch amtierende Vertraute von Ex-Kanzler Kreisky sagte, er beabsichtige, seine politische Arbeit fortzusetzen.

Blechas Rücktritt war in Wien erwartet worden, seit der Salzburger Gendarmerieinspektor Werner Mayer vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß ausgesagt hatte, Blecha habe die „Lucona„-Ermittlungen von Anfang an behindert. Von Anfang an wurde - so fand der von dem Grünen Peter Pilz geleitete Ausschuß heraus - den kriminalpolizeilichen Ermittlungen ein Vertreter der Staatspolizei als Aufpasser zur Seite gestellt. Damit verfügte das Innenministerium über einen direkten „Beeinflussungskanal“ (so die Wochenzeitung 'Profil‘), durch den es dafür sorgen konnte, daß sich die Affäre Lucona im Kompetenzgerangel der Justiz festfahren konnte.

Das Motiv für die Verschleppung der Ermittlungen kann darin gelegen haben, daß Innenminister Blecha mit jenem Wiener Konditor Udo Proksch befreundet gewesen ist, der gute Chancen hat, als größter Versicherungsbetrüger in die österreichische Geschichte einzugehen.

Proksch, der nicht zuletzt durch die erfolgreiche Verzögerung der Ermittlungen mitsamt seinem deutschen Komplizen Peter Daimler untertauchen konnte, hatte die „Lucona“ mit ihrer hochversicherten Ladung (angeblich eine Uranmühle) auf dem Indischen Ozean in die Luft gesprengt. Bei dieser betrügerischen Aktion waren sechs Besatzungsmitglieder ums Leben gekommen.

Blecha ist nicht der erste Spitzenpolitikern der SPÖ, der wegen der „Lucano„-Affäre seinen Posten aufgeben mußte. Schon der ehemalige Verteidigungsminister Lütgendorf, auch er ein Freund Prokschs, war über den Fall gestolpert und hat Selbstmord begangen.

Auch der nächste Abstiegskandidat ist schon bekannt: Der frühere Außenminister und heutige Nationalratspräsident Leopold Gratz soll ebenfalls in die Affäre verwickelt sein. Im Gegensatz zu Blecha, dem nie ein Verstoß gegen die Gesetze vorgeworfen wurde, wird Gratz der massiven Hilfestellung für Proksch beschuldigt. Angesprochen auf das weitere Schicksal seines Parteifreundes, sagte Bundeskanzler Vranitzky, die Frage sei noch nicht erörtert worden, weil sich Gratz im Ausland aufhalte.

smo