Vorhang zu, Vorhang auf

Zur Inauguration des US-Präsidenten  ■ K O M M E N T A R

Heute fällt der Vorhang über Washington, ein populärer Held, ein grandioser Schurke tritt von der Weltbühne. Eine Ära geht zu Ende, die Ära Reagan. Heute auch hebt sich der Vorhang über Washington, und der neue Mann tritt auf. Was bringt der nächste Akt des amerikanischen Dramas, was wird der nächste Präsident für eine Figur machen? Ist jetzt Schluß mit Illusionen und Sensationen? Kommt nach „Star Wars“, „High Noon“ und „Rambo“ langweiliges Repräsentations und Konversationstheater, bei dem das wichtigste hinter den Kulissen vor sich geht?

Geben wir's doch zu: Geliebt haben wir ihn alle, den Cowboy im Weißen Haus. Niemand verkörperte besser als er das großartige und häßliche Amerika, den grandiosen Alptraum, den geliebten Feind. Bewundert haben heimlich auch seine Feinde die unverblümte Rücksichtslosigkeit, mit der er politische Probleme vereinfachte. Konventionen und staatsmännische Klugheit mißachtete. Welcher andere Politiker hätte es fertiggebracht, sich so etwas Verrücktes wie Star Wars auszudenken und auch ins Werk zu setzen, einen Staatshaushalt ohne Subventionen, einen Fiskus, der keine Steuern mehr einziehen soll, eine Regierung, deren größte Leistung darin besteht, möglichst nicht zu regieren?

Und wer ist Bush? Bushs Wahlsieg ist der Sieg „Middle Americas“ über die Ostküste, der Sieg Kaliforniens über Texas, über das altehrwürdige Boston, errungen ironischerweise von einem Mann, der selbst dem Ostküstenestablishment und der traditionellen Machtelite entstammt. Die Wahlsiege Carters, Reagans und Bushs haben alle eins gemeinsam: sie sind Ausdruck des Verfalls des Machtzentrums an der Ostküste und der Verlagerung des Zentrums von Amerika in den Süden und den Westen. Auch unter Bush wird sich Amerika weiter von Washington entfernen, provinzieller, amerikanischer werden. Nur wird das nach außen nicht mehr so verwirrend sichtbar sein wie unter Carter und Reagan, weil mit Bush und seinen Leuten traditionelle Politiker Amerika nach außen repräsentieren werden.

Wie unter Reagan wird es eine amerikanische Mythologie und eine amerikanische Realität geben - nur andersherum: Unter einer Regierung Bush mit einem Stab altgedienter Profis wird Washington nicht mehr sein als eine Fassade, hinter der ein Land liegt, in dem die Realität sich Reagans Mythologie angleicht.

Reed Stillwater