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Richter „übersah“ Entlastungs-Indiz

Bei der Ausstellung des Haftbefehls gegen den der RAF-Mitgliedschaft beschuldigten Rolf Hartung fehlte entscheidendes Gutachten / Ermittlungsrichter: „Habe mich geirrt“ / Entscheidung über Haftfortdauer steht aus  ■  Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Im Verfahren gegen den am 4.10. 1988 in der Düsseldorfer Kiefernstraße verhafteten Rolf Hartung hat dem zuständigen Ermittlungsrichter ein entscheidenes Entlastungsdokument bei der Ausstellung des Haftbefehles nicht vorgelegen. Der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof (BGH), von Gerlach, hatte noch im Dezember 88 einen entsprechenden taz-Bericht dementiert. Am Dienstag bestätigte von Gerlach nun die taz -Darstellung und sprach von einem „Irrtum“.

Die Bundesanwaltschaft (BAW) beschuldigt Hartung der RAF -Mitgliedschaft und der Beteiligung an Anschlägen auf Dornier und das Kölner Amt für Verfassungsschutz im Jahre 1986. Hartung soll das handschriftliche Warnschreiben zu dem Dornier-Anschlag verfaßt haben und derjenige sein, der in dem Bekennerschreiben zu dem Kölner Anschlag einen handschriftlichen Satz eingefügt hat. Als „Beleg“ dient der Karlsruher Behörde ein Schriftgutachten des Hamburger Privatgutachters Hans Ockelmann, der „hundertprozentig“ festgestellt haben will, daß Hartung für beide Schriftstücke „als der gesuchte Schreiber zu bezeichnen ist“.

Was Ockelmann, dessen Arbeitsweise der Verband der Schriftsachverständigen als „verbandsschädigend“ ansieht, für erwiesen hält, schließt die Schriftsachverständige des Bundeskriminalamtes (BKA), die wissenschaftliche Oberrätin Barbara Wagner, aus. In ihrer Expertise vom 12.10.87 über die beiden Schriftstücke schreibt Frau Wagner, es sei aufgrund der Schriftproben „nicht möglich“, einen Urheber „mit Wahrscheinlichkeitsgraden zu identifizieren“. Wenn überhaupt etwas gesagt werden könne, dann, „daß beide Schreiben nicht auf einen einzigen Urheber zurückzuführen sind“.

Ockelmann, der schon in mehreren Stammheimverfahren immer genau das von der BAW gewünschte Ergebnis geliefert hat, behauptet das Gegenteil. Sein Gutachten lag der Hartung-Akte bei, aber das der BKA-Expertin von 12.10.87 fehlte. Einen entsprechenden taz-Bericht vom 21.12.88 bezeichnete die BAW einen Tag später als „falsch“. Auch der zuständige Ermittlungsrichter von Gerlach, am 21.12.88 befragt, erklärte, das entlastende Wagner-Gutachten habe ihm bei Ausstellung des Haftbefehls am 28.9. „selbstverständlich vorgelegen“. Diese Information war falsch. Beim Haftprüfungstermin stellte sich am Montag heraus, daß das entlastende Wagner-Gutachten vom 12.10.87 der Hartung-Akte erst am 3.1.1989 beigefügt worden ist. Von der taz darauf angesprochen, räumte von Gerlach nun ein, bei der Antwort im Dezember „muß ich mich geirrt haben“. Er habe, so der BGH -Ermittlungsrichter, offenbar das von der taz zitierte Gutachten mit anderen der Akte beigefügten Wagner-Gutachten verwechselt.

Eine ähnlich lautende Erklärung lieferte am Dienstag dieser Woche Alexander Prechtel, Sprecher der BAW, der in seinem Dementi vom Dezember behauptet hatte, der den Haftbefehl ausstellende Richter sei vom „Sachbearbeiter der Bundesanwaltschaft ausführlich und ausdrücklich“ auf die unterschiedlichen Gutachteraussagen hingewiesen worden. Tatsächlich lagen der Hartung-Akte zwei Wagner-Gutachten aus dem Jahr 1986 bei, eins zum Dornier-Warnpapier und eins zum Kölner Bekennerschreiben. Der entscheidende, im Gutachten vom 12.10.87 sehr ausführlich dargestellte Vergleich zwischen beiden Schriftproben fehlt aber in den 86er Gutachten. Genau dazu hatte die taz aber den Ermittlungsrichter von Gerlach und die BAW befragt. Die Karlsruher Anklagebehörde weist den Verdacht der Verfahrensmanipulation dennoch weit von sich. Von dem 87er Gutachten habe die BAW erst im Stammheimer Verfahren gegen Eric Praus und Andrea Sievering während der Zeugenvernehmung von Frau Wagner am 24.11.88 Kenntnis erhalten, sagte Prechtel am Dienstag.

Festzuhalten bleibt, daß ausgerechnet jenes Gutachten die Chefankläger nicht erreichte, dessen Kernaussage im deutlichsten Widerspruch zu dem Ockelmann-Gutachten steht, und das zur Verfolgung von Rolf Hartung nichts her gibt. Richter von Gerlach, der nun im Besitz dieses entlastenden Dokumentes ist, hat bei dem mündlichen Haftprüfungstermin am Montag dieser Woche noch keine Entscheidung verkündet. Das Gesetz räumt ihm eine Frist von acht Tagen ein. Andere „Beweis„mittel gegen Rolf Hartung gibt es nicht.

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