Wie es Godard gefällt

■ „King Lear“ von Jean-Luc Godard: 1000 Seiten Filmästhetik jenseits einer verständlichen Shakespeareverfilmung / Von Schlitzohren, Woody Allen und dem Servietten-Vertrag

Vor drei Jahren konnte man auf den Filmfestspielen in Cannes eine der gelungensten Public-Relations-Aktionen des neueren Filmgeschäfts bewundern. Die Großproduzenten Golan und Globus von Cannon hatten in einem Straßencafe auf einer Serviette einen Vertrag mit Jean-Luc Godard unterzeichnet: er sollte mit Norman Mailer als Drehbuchautor und Woody Allen in der Rolle des Narren Shakespeares „King Lear“ verfilmen. Godard hat sich dann auch genau an die Buchstaben des Vertrags gehalten: am Anfang des Films sieht man Norman Mailer mit seiner Tochter bei der Arbeit an einem Script zu „Lear“. Am Schluß des Films tritt in zwei Einstellungen Woody Allen auf, der im Schneideraum das Script liest, Kaffee trinkt und einen Text rezitiert; und daß es in dem Film um „Lear“ geht, erkennt man zumindest am Titel. Ansonsten hat Godard den Film gemacht, wie es ihm gefiel, und das ist tausend Seiten Filmästhetik entfernt von einer auch nur halbwegs verständlichen Shakespeareverfilmung.

Godard hat aus „Lear“ erst einmal alles herausgekürzt, bis fast nur noch die Antagonismen Macht und Tugend übrigbleiben, die von einem Paar verkörpert

werden, das an die Anfangsein stellung von Mailer und seiner Tochter erinnert: der Mafiosi Don Learo und seine Tochter Cordelia, die sich den Film über an einem Tisch im Hotel streiten. Im selben Hotel an einem See in der Schweiz lebt auch ein junger Autor namens Shakespeare, der ständig nach den rechten Worten sucht, um seine Stücke zu schreiben, sich für das Mädchen interessiert, und ihretwegen „den Sein oder Nichtsein -Krempel erstmal beiseite läßt“. Ständig wird von Stimmen im Off oder durch Montagen von Gemälden, Photos oder Texten erklärt, und immer wird dadurch nochmehr verwirrt. Geistesblitze folgen auf Kalauer, und beides wird im gleichen Stil gezeigt, wer hier versucht, alles zu verstehen und zu entwirren, ist schon in Godards Falle gelaufen.

Ist dies eine „Reise in Lear“ oder eine Studie, eine Annäherung, oder reicht der Hinweis „Furcht und Schrecken“ unter dem Titel? Die Alternativen zeigt Godard auf Zwischentiteln im Laufe des Films, den er „A picture, shot in the back“ nennt. Er erklärt auch warum der junge Shakespeare alles nochmal dichten muß, und warum der Film nichts richtig erzählt: „Nach Tschernobyl sind das Kino und

die Künste verloren und müssen neu erfunden werden.(...) Aber 99 Prozent von Shakespeares Werk ging dabei sicherlich verloren.“ Manchmal ist Godard wirklich witzig, er selber tritt dann auch als Narr auf, verkündet in furchtbar genuscheltem Englisch Weisheiten übers Kino und läßt bei laufender Kamera einen fahren. Wer seine letzten Filme gesehen hat, fühlt sich in der Athmospäre des Films schon fast zuhause. Dasselbe schöne Licht, sehr gute Kameraarbeit und einige großartige Einstellungen, derselbe komplizierte Soundtrack mit sich überlappenden gesprochenen Texten und klassischer Musik. Auch die sehr jungen Mädchen, die der alte Lüstling so gerne zeigt, sind en masse zu betrachten, nur läßt er sie diesmal angezogen, und sobald einem das auffällt, ist da auch schon der Zwischentitel „No nudity in this picture“

„Da hat er es uns ja mal wieder gegeben“ sagte ein Kollege nach der Vorführung. Godard hat nicht gerade Rücksicht aufs Publikum genommen, aber richtig Schlittengefahren ist er mit seinen Geldgebern, die mit diesem Film absolut nichts anfangen können. Er ist gerade ein paar Wochen in England gelaufen, hier in Deutschland mußten die Kinobesitzer beim Verleih betteln, daß überhaupt eine Kopie herausgebracht wurde. Die ist dann auch ohne Untertitel, und Pressematerial gibts auch nicht. Cannon hat den Film ganz und gar als Verlust abgeschrieben. Irgendwie macht es Mut zu sehen, daß dem Schlitzohr solch ein böser Streich gegen die Vertreter des Rambo-Kinos gelingen konnte, und für Chineasten ist „King Lear“ allemal interessant anzusehen und nie langweilig. Aber ist nicht letztlich die Serviette mit dem Vertrag ein bedeutenderes Werk als der Film selber ?

Wilfried Hippen

Schauburg 23.00 Uhr