„Die Widersprüche sind verkleistert worden“

■ Interview mit dem Ab-, Um- und Ausssteiger des Jahres, Herbert Brückner, über Macht und Ohnmacht der Bremer SPD / Nach 25 Jahren Parteiarbeit will sich der Ex-Senator und Ex-Landesvorsitzende jetzt den „grundsätzlichen Überlebensfragen“ widmen

taz: Wenn in Bremen der „Absteiger des Jahres“ gewählt worden wäre, welche Chancen hätten Sie sich ausgerechnet?

Herbert Brückner: Im vorletzten Jahr hat man mich ja zum „Umsteiger des Jaheres“ ernannt. Ich kann mir gut vorstellen, daß ich im letzten Jahr zum „Absteiger des Jahres“ gewählt worden wäre. Für mich selbst wäre es allerdings fast ein Ausstieg geworden. Denn natürlich haben mich die Umstände, unter denen mein Rücktritt stattfand, verletzt und enttäuscht.

Vor zehn Jahren haben Sie mal als Koschnicks Kronprinz gegolten. Man könnte die Geschichte also auch ganz anders sehen: Nicht als das abrupte Ende im politischen Aufstieg des Herbert Brückner, sondern als vorerst letzte Phase eines schon sehr langen Abstiegs.

Ich habe natürlich in den letzten Wochen auch mal die vorangegangenen Jahre Revue passieren lassen. Ich habe 1964 in Bremen in der Jugendarbeit angefangen - eine unheimlich interessante Phase damals. Von 1971 bis 75 war ich Bürgerschaftsabgeordneter. Da habe ich als Neuling ganz spannende Gesetzesvorhaben mitgemacht. Das waren, wenn man so will, die erfolgreichsten Jahre. Dann kamen die 12 Jahre im Senat. Mein wesentlichste Aufgabe habe ich damals im Umweltschutz gesehen. Und genau diese Aufgabe ist mir 83 durch al

lerlei Tricksereien weggenommen worden. Damals habe ich mich innerlich entschieden: Das ist meine letzte Periode im Senat.

Was waren das für Tricksereien?

Da gab es plötzlich die raffinierte Aussage, der Umweltschutz sei gerade durch mich als so wichtig erkannt worden, daß dafür ein eigenes Ressort nötig sei. Damals wurde auch über Nacht rumtelefoniert, um dafür eine Frau zu finden. Und Evi Lemke ist es dann geworden. Das war natürlich ein vorgeschobenes Argument.

In Wahrheit ging es darum, Machtverhältnisse zu verschieben?

Es ging darum, Brückner und Scherf zu entmachten. Scherf wurde ja im gleichen Atemzug der Sport weggenommen. Dabei war der doch dafür mit jedem Fallschirm abgesprungen. Damals war offensichtlich für manche Leute schon absehbar, daß Koschnick zwei Jahre später gehen würde, womit ich nie gerechnet habe. Ich hab noch nicht mal zwei Tage vorher an Koschnicks Rücktritt geglaubt. Dann wurde Wedemeier Bürgermeister.

Was Sie nicht wollten.

Ich war damals für Scherf. Ich war für jemanden mit mit Überzeugungen, mit philosophischem Hintergrund, dem man „Macher“ zur Seite stellen mußte. Bei Wedemeier war es umgekehrt, Wie es ausgegangen ist, weiß man. Und auch damit war für mich klar, daß ich am Ende der Periode

aus dem Senat rausgehen würde.

War das die Einsicht in eine persönliche Niederlage, oder war das die Einsicht, daß sich in diesem neuen Senat eine andere Politik durchgesetzt hatte?

Es war beides, und es war zusätzlich die Einsicht, wie wenig man als Senator im Grunde bewirken kann...

... weil man zu sehr eingebunden ist in Senats -Loyalitäten?

Ja, man muß z.B. schweigen zum

Umweltschutz, weil dafür jetzt eben jemand anders zuständig ist.

War das Kalkül von Wedemeier?

Ich weiß nicht. Ich denke, der Bürgermeister wäre glücklicher gewesen, wenn ich im Senat geblieben wäre.

Weil ein Senator Brückner besser zu kontrollieren ist als ein Parteisvorsitzender Brückner?

Ja, als Senator ist man auf sein Fachgebiet begrenzt.

Ob wunschgemäß oder ungewollt

-der Bürgermeister bekam es mit dem Parteivorsitzenden Brückner zu tun. Die Konflikte zwischen beiden sind oft genug mit der Struktur, also den unterschiedlichen Rollen von Senat und Partei, erklärt worden. Ist das alles? Oder gibt es außerdem auch unterschiedliche Konzeptionen von SPD -Politik einerseits und persönliche Differenzen andererseits?

Wahrscheinlich ist es alles drei. Aber vor allem ist es die unterschiedliche Konstellation. Die Partei muß akzeptieren, daß auch ein von ihr gestellter Senat nicht alles machen kann. Aber auf der anderen Seite müssen eine Regierung und ein Regierungschef akzeptieren, daß eine Partei ihnen hineinredet. Und diese Akzeptanz ist unheimlich kurz gekommen. Die Widersprüche sind verkleistert worden.

Wie haben sich diese „strukturellen“ Gegensätze im Umgang der Menschen Wedemeier und Brückner niedergeschlagen?

Zunächst mal so, daß es zu wenig Umgang gab. Aber wenn ich mir das jüngste Beispiel, die Neuordnung des Bauressorts ansehe und höre, daß auch der jetzige Landesvorstand solche Pläne aus der Zeitung erfährt, dann hat das ja möglicherweise nicht mit zwei Personen zu tun, sondern mit einer Person.

In der Krise lernt man seine Freunde kennen. Gilt das Sprichwort auch für Parteifreunde?

Ja. Ich habe gemerkt, wieviele plötzlich weggehen. Die, die selber Karriere machen wollen, machen plötzlich einen großen Bogen um mich rum, und das sind nicht wenige. Aber im weiteren Umkreis gibt s Leute, von denen mir viele geschrieben haben. Es gibt 50 bis 60 solcher Briefe, tröstende Briefe, solidarische Briefe. Aber die kamen nicht aus der Führungsschicht. Da saßen viele Leute mit vorauseilendem Gehorsam, die über Nacht der Parole gefolgt sind „Wir brauchen einen Neuanfang in der Partei“ und meinten „Herbert, Du mußt zurücktreten“.

Welche Konsequenzen zieht Herbert Brückner aus dieser Erfahrung? Sitzt der noch sein letztes Bürgerschaftsmandat ab und widmet sich dann seiner Schafzucht?

Die erste Phase, wo ich gesagt habe, ich hab‘ endgültig keine Lust mehr, habe ich überwunden. Ich will schon noch 10 oder 15 Jahre Politik machen, und zwar nicht in Bonn oder Brüssel, sondern in Bremen.

Partei-Politik?

Das weiß ich noch nicht, sicher ist nur: Ich will mich wieder mit den Überlebensfragen befassen, mit der Zerstörung der Umwelt, mit der Ausbeutung der Dritten Welt. In den Senat werde ich nicht mehr gehen. Erstmal werde ich in erster Linie Politiker sein und erst in zweiter Linie Parteipolitiker.

Fragen: Klaus Schloesser