KUNST ALS KRIEGSWAFFE

■ Stefanie Vogel und Herrmann Bachmann in der Staatlichen Kunsthalle

Wer eingedenk der universellen Themen „Krieg und Tod“ mit der Erwartungshaltung in die Kunsthalle kommt, hier werde nun der Pfarrer losgelassen, senke die Stimme, rufe zur Kollekte auf und verbreite didaktische Bildtafeln, sieht sich angenehm enttäuscht. Ohne die Tiefe oder Weite der Wichtigkeit der Themen wesentlich zu verkürzen, wird mit neuen konventionellen Mitteln, nämlich weitgehend im Vertrauen auf die Aussagekraft der Bilder, der Versuchung pastoraler oder didaktischer Weitschweifigkeit der verbalen Dingfestmachung von Krieg und Kriegsschuld, Tod und Lebensschuld, unprätentiös, aber glaubwürdig im Ausstellungskonzept widerstanden.

Etwas konventionell, aber legitim erscheint das Verhältnis von präsentiertem bildnerischen Ausstellungsteil und katalogmäßiger Bearbeitung der perspektivierten Themen: Stefanie Vogels Bilder, welche den Teil des Doppelkatalogs künstlerisch tragen, illustrieren nicht nur das Thema Krieg oder beschreiben es, steigern es auch nicht durch dramatische Bildkommentare, sondern stellen eher einen allgemeineren Stimmungsteppich dar, vor dem sich die sehr ausführlichen und differenzierten Katalogdokumentationen und wissenschaftlichen Erarbeitungen über das Kriegsthema im Katalog als synergetischer Effekt abheben, welcher das Studium dieses Katalogs im Sinne von Stimmungserfahrung, aber auch zur Kenntniserweiterung für Laien und Fachleute empfehlenswert macht. Im Hochparterre der Kunsthalle also zeigt Stefanie Vogel ihre Bilder erfreulich ausführlich und für eine relativ unbekannte Künstlerin in geradezu vorbildlicher Breite - Gott sei Dank mal eine junge Frau, welche ordentlich gefördert wird in dem ansonsten weitgehend männlich dominierten Bereich der bildenden Künste! Auch wenn sie über weite Strecken noch nicht den gehobenen, zwischen Suchen und Finden befindlichen studentischen Standard überwunden hat, was keineswegs abwertend gemeint sein soll, zeigen doch manche Werke von ihr schon so viel Talent und Klasse, daß nicht nur die Berlinische Galerie schon drei Ankäufe getätigt hat, sondern daß auch lukrative Privatgalerien Interesse zeigen könnten.

Besonders in dem Triptychon „Verwüstungen“ (1986, Öl auf Leinwand, Seitenteile je 200 x 95 cm, Mittelteil 200 x 150 cm, Kat.-Nr. 20) erläutert sie nicht nur den Themenrahmen „Krieg“, sondern kommt auch künstlerisch auf eine neue Ebene. In der Mitte fällt oder tanzt ein erwachsenes Kind, etwas Profiltyp der Horst-Antes-Kopffüßler, in rückwärts gerichteter Purzelbaumstellung Bi-Ba-Butzemann übermütig hilflos, in der Nähe einer über die drei Bildteile gebogenen Balustrade, Hindernis oder Ballettstange, schwarz-braun -lila, wie ein aufgeklebtes cut-out auf weiß-gelbem Grund, kontrastreich, figural interessant, situationsdramatisch ideenreich. Der in windschiefen Ebenen verschachtelte Hintergrund ist auch vom Pinselduktus her überzeugend bearbeitet, d.h. die einzelnen Pinselstriche funktionieren energetisch mit dem Flächenhintergrund, hell auf dunkel.

Im rechten Bildteil - gutes „unbewußtes“ Überich- oder Unterich - Verkleinerung eines Pferdekörpers als ebenfalls dunkle cut-out-Silhouette, fällt oder schwebt dieser figurative Bildpartikel in Resonanz auf das Kind im Mittelteil wie in einem Traum oder einer filmischen Vision. Ein riesiges Kreuz, das sperrig bedeutungsreich lasziv einen Haken zeigt, also ein Hakenkreuz sein kann, das nur durch die Bildbegrenzung als solches nicht voll erkennbar ist, beschattet die schwefelsonnig apokalyptische Landschaft wie eine unheilvolle Koordinate raumgliedernd. Im linken Bildteil oben über dem Horizont ein zart gedrucktes M, darunter, drei Ebenen weiter, ein Baum oder ein überdimensionaler Pariser mit raumsondierenden überlängten Noppen, albern, aber faktisch wie ein Roboter oder ein außerplanetarer Gummibaum. Utopie, Erinnerung, Imagination und formale Bildbewältigung sind wohl auch durch die dualistische Farbreduktion prononciert erreicht worden.

Die meisten der übrigen Bilder sind noch etwas unbestimmt tastend, suchend, in den Malprozeß verliebt, die Abstraktion erprobend, themenambivalent, dadurch manchmal auch im Strich nicht überzeugend, weil streckenweise beliebig. Es scheint, als ob die Sensibilität und vielleicht auch ein dahinterstehendes intellektuelles oder gesellschaftskritisches Engangement in Stefanie Vogels Bildern erst dann als Kunstbild optimal funktioniert, wenn gezielte Bildthemen einen Rahmen verleihen oder ein Gegenstandsbezug klar erkennbar wird. Ansonsten wirken manche der Bilder teilweise noch so wie mathematische Gleichungen mit etwas zu viel Unbekannten gegenüber den benutzbaren Kritierien.

Vielleicht war diese Unbestimmbarkeit oder der stimmungsvolle Abstraktionsgrad der Bilder auch ein Grund, gerade ihre Bilder (130 Stück), von denen nur ein Bruchteil direkt das Thema Krieg behandelt, als Hinter- oder Vordergrund für den erläuternden Katalog auszuwählen. Hatte nicht eine große Historikerkommission, welche die internationalen Entstehungsmotive beispielsweise des Ersten Weltkrieges erforschen wollte, mehr oder minder resignierend erkennen müssen, wie schwer bestimmbar die psycho-sozialen Beweggründe in ihren je nationalen Synthesen gewesen sein mögen: „Niemand hat es gewollt, aber niemand hat es auch verhindert“, hieß es danach.

Der Knüller der Doppelausstellung aber dürften einige enorme Bilder von Prof. Herrmann Bachmann in der oberen Etage der Kunsthalle sein. Unter dem ungeschmückten Titel „Umfeld Tod“ zeigt er eine Serie von überraschend hochklassigen Werken, die ihn möglicherweise mit in die vordere Reihe der deutschen Avantgarde und deren internationale Anerkennung stellen könnten. Für einen Hochschulprofessor erfahrungsgemäß eine etwas ungewöhnlich Entwicklung, denn wenn man schon sehr bekannt ist und etliche Ehrungen hinter sich hat, glauben wohl die wenigsten, daß man qualitativ noch etwas drauflegen könnte. Doch Souveränität und Lernfähigkeit können sich ergänzen. Wirkten Bachmanns Bilder früher manchmal die Sinnlichkeit betreffend etwas anämisch deutsch oder sogar knochig -frustrierend, wenn auch in ihrer inneren Bescheidenheit edel und in ihrer Reduktion der Dramatik eindringlich, so kann man nun durch den sparsamen Einbau „heftiger“ Elemente bei einer ganzen Reihe von Werken einen frappiernden Energiezuwachs feststellen, welcher weder künstlich noch aufgesetzt noch deplaziert erscheint: Vor steingrauen, anthrazitenen, mausgrauen oder bleigrau abgeschotteten Hintergründen eskalieren sparsame Farbaufblitzungen, kalkulierte dramatische Begrenzungen von Hitze im Bild, choreographische Figurenensemble oder verminderte Raumperspektiven dermaßen mit plausiblen Antagonien und Widerspruchsergänzungen, Vieldeutigkeiten der scheinbaren Entschiedenheiten, daß man sich unwillkürlich an die verbale Ästhetik eines Sophokles, Euripides oder Äschylos erinnert fühlt. Flammende rote und gelbe Farbstrünke vor grauen, kompromißlos stimmungslosen Stummflächen, Figuren gebannt in komplex antiker Vereinfachung.

Das hat was! Damit werden nicht nur potentiell ideale Bühnenbilder oder Idolationen antiker Dramenstoffe produziert, sondern es ist auch jene so lange als Defizit empfundene „konstruktive Lücke“, welche man weitgehend der „heftigen“ Malerie ankreiden konnte, tendenziell überwunden.

Stiltheoretisch bewegt sich diese Malerei in etwa zwischen der teutonischen Unsagbarkeit der Kölner Avantgarde, der wohl französischeren Geglättetheit der „heftigen“ Malerei und der steinernen Schweigsamkeit von Skulpturen etwa eines Lehmbruck oder ägyptischer Reliefs.

Andreas Kaps