Schleichende Umwälzung in Polen

■ Veränderung im Kräfteverhältnis der PVAP / Solidarnosc vor neuer innerer Demokratie / Entscheidungsgremien können neu gewählt werden

Berlin (taz) - Als vor drei Tagen etwa eintausend DemonstrantInnen in Krakau durch die Altstadt zogen und die Wiederzulassung ihres 1982 aufgelösten Studentenverbandes NZS verlangten, geschah zum ersten Mal - nichts. Noch wenige Monate zuvor hatte Regierungssprecher Urban eine Legalisierung des NZS abgelehnt, mit der Begründung, die Organisation sei „extremistisch und antisozialistisch“. Kaum eine Demonstration verging, ohne daß die NZSler verprügelt wurden. Nun wurde den Krakauer Studenten erklärt, die Registrierung des NZS sei „eines jener Probleme, die im Rahmen des Pluralismus in Polen gelöst werden müssen“.

Vieles steht zur Zeit in Polen auf dem Kopf. In acht Jahren hatte sich die Opposition daran gewöhnt, daß eine Legalisierung von Solidarnosc unter der Generalsequipe Jaruzelskis nahezu ausgeschlossen sei. Begonnen hatte die schleichende Veränderung in der Partei bereits im vergangenen Jahr. In der ersten Hälfte des nun abgeschlossenen ZK-Plenums hatte die Hälfte der bisherigen Politbüromitglieder ihren Posten verloren, sieben neue waren gekommen. Das ZK erhielt vier neue Sekretäre, die Partei einen neuen obersten Revisor. Das ganze vorbereitet in hektischen informellen Sitzungen.

Einer war immer dabei: General Jaruzelski. Dennoch hielt sich der General in der Öffentlichkeit weitgehend zurück, im Gegensatz zu Premier Rakowski, der das ZK in geschlossener Sitzung mit einer Frageliste zum Thema Solidarnosc schockierte: die Funktionäre sollten vor Ort nachforschen, ob eine Wiederzulassung möglich sei. Auf der entscheidenden ZK-Sitzung Dienstag nacht in der vergangenen Woche gab es dann keinen Zweifel mehr, wer in der PVAP die „führende Kraft“ ist. Vier Politbüromitglieder drohten mit Rücktritt und setzen so die Pluralismuserklärung durch: Jaruzelski, Verteidigungsminister Florian Siwicki, Innenminister Czwslaw Kiszczak und - Mieczyslaw Rakowski. Während die ersten drei Kriegsrechtsgeneräle sind, kann Rakowski immerhin von sich behaupten, auch ein Opfer des Kriegsrechts geworden zu sein: 1983 verlor er seinen Posten als stellvertretender Ministerpräsident und Politbüromitglied. Jetzt ist er der kommende Mann.

Wie für manche Parteifunktionäre, so ist auch für viele Solidarnosc-Aktivisten die Erklärung des ZK ein harter Brocken. Eine Legalisierung ihrer Gewerkschaft auf Zeit und unter harten Bedingungen: Was bringt eine Gewerkschaft, die nicht streiken darf? Zumal alle wissen, daß die Streiks dieses Jahres nicht von Solidarnosc organisiert, sondern der Gewerkschaft und besonders ihrem Vorsitzenden eher aufgezwungen wurden. Kein Zweifel, daß es auch in Zukunft so sein wird, daß die Streiks nicht auf Befehl aus Danzig ausbrechen, sondern durch den Unmut in den Betrieben.

Ein Problem läßt sich aber lösen durch eine bedingte Wiederzulassung: Das Problem der innerparteilichen Demokratie in der Gewerkschaft. Die heftigen Angriffe auf Walesa von seiten einiger radikaler Gruppierungen um die „Kämpfende Solidarnosc“ in Schlesien und die Danziger Gruppe um Andrzej Gwiazda rühren daher, daß es in der Gewerkschaft kaum mehr wirklich legitimierte Entscheidungsgremien gibt. Denn diese wurden 1981 zum letzten mal gewählt. Viele ihrer Mitglieder haben inzwischen das Land verlassen, sich ins Privatleben zurückgezogen oder gar von der Gewerkschaft distanziert. Zurückgeblieben sind Gremien, die statutengemäß nicht mehr entscheiden konnten, sich aber in der Illegalität irgendwie behelfen mußten und neue, aktive Leute, die aber kein Mandat von 1981 hatten. Der einzige Mann mit Mandat war Walesa. Dessen Versuche aber, immer neue, in der Satzung nicht vorgesehene Gremien zur gründen, riefen Mißmut hervor, der nun offen zutage gekommen ist. Die umstrittene Resolution bietet immerhin die Möglichkeit, dies alles im Rahmen eines neuen Gewerkschaftstags zu regeln. Alles hängt jetzt von den Details ab und davon, wie Solidarnosc auf das Angebot reagiert.

Klaus Bachmann