Schaurig schön, tödlich giftig

■ Bremer standen respektvoll vor Schlangen Schlange / Bayerischer Reptilienzüchter präsentierte Nattern, Ottern und Vipern in der Stadthalle

Rücklings räkelt sich die australische Witwe vor den gaffenden Blicken ihrer wohlig schaudernden Betrachter, zeigt in lässig-laszivem Stolz die symmetrische

Schönheit ihres feingezeichneten Bauchs. In provokanter Zeitlupenhaftigkeit spreizt sie mit geheuchelt ahnungslosem Blick gelassen die langen, feingliedrig-überschlanken Beine, als wüßte sie um die Unnahbarkeit, die ihren schwarzen, prallen, glatten, haarlosen Leib umgibt, und um den Respekt, den die mutmaßlich tödliche Umarmung ihrer Kiefer dem glotzenden Volke abtrotzt.

Wehe dem, der der verlockenden Unschuld ihres selbstgefälligen Spiels nicht widerstände: Wer ihr nur einmal ins feingesponne Netz ginge, der Versuchung, sie ein einziges Mal zu berühren, nicht widerstände - er wäre verloren, müßte sich rettungslos verfangen in den silbrigen Fäden ihrer Körpersekrete, bis sie endlich käme und ihrem Liebsten Lieb‘ und Leben aussaugte bis aufs Mark.

So aber lebt sie, kaum fingernagelgroß, hinter Panzerglas und unter der wohlmeinend warnenden Aufschrift „sehr giftig“. Einsam im dürren Zweigwerk eines Terrariums von kaum aktendeckelgroßer Grundfläche. Zu ihrer Linken haust ein mürrisch in sich verkrochener Sandskorpion, der seinen wässrig-weißen Körper, den giftigen Stachel drohend über den Rücken gekrümmt, wohl am

liebsten allen neugierigen Blicken unter einem schützenden Steinbrocken entzöge. Zu ihrer Rechten hat die haarige, handtellergroße, häßliche Tarantel ihre ostasiatische Heimat mit einem Glaskasten ähnlicher Bauart und Bequemlichkeit vertauscht, um sich vereint mit Vipern, Nattern und Echsen für sechs Mark den Blicken staunenden Publikums feilzubieten.

Da ist die hungerkünstlernde Netzpython, die ganze Jahre ohne Nahrung auszukommen versteht, die phlegmatische Uräus -Cobra, die den alten Ägyptern heilig galt und ihnen die Thronsessel ihrer Pharaonen zierte, während ein mythologischer Abstieg ohne Beispiel sie heute auf morgenländische Basarmärkte verschlagen hat, wo sie mit zugenähtem Giftmaul dem träge klagenden Flötenspiel der Schlangenbeschwörer folgen muß. Da ist die herrlich schöne grüne Mamba, die aus wachen, klugen Augen jeder Regung ihres Betrachters mit weichen Pendelbewegungen des Oberkörpers züngelnd folgt, weich und stark, zart und kraftvoll und: tödlich. Ihr Biß wirkt in Sekunden, einige Hundertstel Gramm genügen, über zwei Gramm lauern im kräftigen Giftzahn ihres zarten, schlanken Köpfchens. Da ist die

Speikobra, die ihren Gegnern ihr Gift zielgerichtet in die Augen schleudert...

Dem Bremer Publikum allerdings, das gestern in hellen Scharen vor den Schlangen Schlange stand, schien von solch pragmatischer Selbstverständlichkeit weit entfernt. Eher zog es in ehrfurchtsvoller Verstummung an den Schaukästen vorbei, eine Schweigeprozession gemessenen Schritts, gemischt aus Faszination und Ekel, Schaudern und künstlich hergestellter Sicherheit.

Nur ein paar Kinder sorgten in der gespenstischen Zurückhaltung für respektlose Töne und unverkrampfte Ausgelassenheit. Einige üben bäuchlings „Schlängeln“ auf den Statdthallen-Dielen. Eine rotzfreche Göre brüllt quer durch den Kongreßsaal: „Mama, guck mal die Dicke da.“ Die hochrote Mama ist sichtlich bestürzt. Noch hat ihr Blick sich nicht in die Richtung des Kinderarms vorgearbeitet, noch weiß sie nicht, ob die infantile Lautstärke nicht am Ende einer etwas korpulenteren Besucherin gilt. Dann fällt ihr sichtlich ein Stein vom Herzen. Zu ihrem männlichen Begleiter sagt sie halblaut: „Jule meint die Riesenpython.“

K.S.