Noten so blau, so blau, so blau

■ Johnny „The Winter of 88/89“ spielte und sang anscheinend unverändert für unverändert jungseinwollendes Publikum. Bloß „Highway 61“, das hat er nicht gesungen

Das Schlechteste zuallererst. ER spielte nicht „Highway 61“. Shame on you, Johnny. The Winter of 88/89 war mit zwei Mitstreitern in der Halle vier auf der Bürgerweide erschienen und schwupp, waren alle wieder einmal zehn oder fünfzehn Jahre jünger, jedenfalls für gut eine Stunde. Denn ER hat sich gar nicht verändert. 45 wird er Ende nächsten Monats, und sein Bruder Edgar spielt auch nicht mehr mit ihm, aber das schienen auch alle Neuerungen zu sein.

Schmalschultrig stand ER da, die dünnen Oberärmchen reich mit Tätowiertem verziert und einen riesigen Stetson auf der arschlangen schlohweißen Mähne. Ausgezehrt sah ER aus, aber war das nicht immer so? Alle Fragen nach seiner tatsächlichen Konstitution beantwortete ER auf der Stelle. Ein instrumentales Blues-Intro bedeutete den rechten Einstieg, um klarzustellen, wer Chef im Ring war. Nuschelig erwähnte ER kurz seinen Schlagzeuger und

den Bassisten, und das war's auch schon fast. Die Namen der beiden Rhythmuskulis blieben unverständlich und waren auch nicht wichtig. Denn Johnny Winter ließ schon beim zweiten Titel keine Zweifel, daß ER wahrscheinlich auch noch mit 72 Jahren über eine unverwechselbare Stimme verfügen wird. Genauso verhält es sich offenbar mit seinem Publikum. Die Herren mit Oberlippen-oder Vollbart, die Damen sichtbar bemüht, nicht overdressed zu erscheinen. Big Bill Broonzy's „Rock me baby“ war so eine alte Schote, die das versammelte Bremer Umlandpublikum dankbar annahm, und der gute alte Johnny gab's ihnen nach allen Regeln der Kunst. Der Südstaatenmusiker mit der pigmentlosen Haut, der sich früher etwas respektlos für einen schwarzen Gitarristen hielt, hielt dann auch eine Fingerübungs-Serenade ab, die ohne Probleme in einen Club in Memphis gepaßt hätte. Blue notes, die nicht blauer hätten sein können,

und Slide-Passagen, bei der des Maestros Hand nur so über die Saiten rutschte, begeisterten die ZuhörerInnen und entfachten die Bierkonjunktur. ER übernahm aber schnell wieder das Kommando, und siehe da, auf einmal war Schicht. Nicht einmal die üblichen eineinhalb Stunden war er bereit zu erfüllen, nach „Johnny B. Goode“ war einfach Schluß. Für alle, die gerade Bierholen waren, weil sie dachten, die Party ginge erst richtig los, ein herber Schlag. „Rock me baby, all night long“ hatte ER noch großkotzig in die Zuhörerschar gesungen und für überschwengliche Erwartungen gesorgt, in der Bunkeratmosphäre des Aufführungsortes ein kleines Kunststück. „Go, Johnny, go go“, und Mr. Winter aus Beaumont, Texas verstand das völlig falsch. Er ging.

Johnny Winter verließ Bremen, ohne „Highway 61“ zu spielen. Das war ein Fehler. Das hätte ER nicht tun sollen.

Jürgen Francke