: Vom Nachttisch geräumt: PARAGRAPHEN
Die taz hatte letztes Jahr mal wieder wegen angeblicher „Verletzung religiöser Gefühle“ mit der Justiz zu tun. Es wundert einen schon, wo manchen Leuten der point d'honneur sitzt. Unser Rechtsanwalt machte einen Blitzkurs in Abendmahlstheologie und begab sich gewappnet mit eineinhalbtausend Jahren Streit um real, symbolisch oder realsymbolisch vor den Richter. Der war vernünftig genug, die Sache einzustellen. Einem Aufsatz von Sieghart Ott entnehme ich jetzt, daß seit 1969 der § 166 des Strafgesetzbuchs lautet: „Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird ... bestraft.“ Es geht also nicht um die Beschimpfung eines Bekenntnisses, sondern um die Störung des öffentlichen Friedens. Was immer letzteres sein mag. Strafbar ist nicht etwa nur dessen Störung oder der Versuch dazu, sondern schon eine Handlung, „die geeignet ist“ ihn zu stören. Mein alter Verdacht - jeder Paragraph ist ein Gummiparagraph - wird wieder einmal bestätigt. Immerhin eines klärt Otts Aufsatz. Bewiesen werden muß nicht, daß der Inhalt eines Bekenntnisses beschimpft wurde, sondern die Gefährdung des „öffentlichen Friedens“. Die Frage ist jetzt: wie friedlich ist Frieden? Friedhofsfrieden? Stört jeder Aufmucker den öffentlichen Frieden? Ist die Öffentlichkeit eines Dorfes gemeint? Die einer Stadt? Einer Region? Der BRD? Ist der Fehler nicht schon in der Voraussetzung, der „öffentliche Frieden“ sei durch Gedrucktes zu stören? „Literatur vor dem Richter“ heißt ein Sammelband mit Beiträgen u.a. von Helmut Ridder (Engagierte Kunst und Literatur und Justiz in der Bundesrepublik Deutschland), Alice Schwarzer (Die Würde der Frau ist antastbar) und Peter O. Chotjewitz (Der Plagiatsvorwurf als Eingriff in die Freiheit der Literatur). In seinem Beitrag „Weste und Hose Wo bleibt der Rock?“ erneuert Jan Philipp Reemtsma die Forderung Christoph Martin Wielands: „Ein Verlag dürfte, wenn er aus einem literarischen Werk Gewinn gezogen habe, 'sich schlechterdings kein ausschließliches Zwangsrecht auf den alleinigen, immerwährenden Verlag dieses Buchs‘ anmaßen. - Was aber, wenn ein Autor sich selbst 'sua culpa die Hände gebunden, wenn er sich mündlich oder schriftlich bei der ersten Transaktion über sein Manuskript anheischig gemacht hätte, es dem Verleger (...) auf immer zu überlassen?‘ (wobei Wieland noch auf den damaligen Brauch eingeht, Honorare nur für die erste Auflage zu zahlen): 'Selbst der förmlichste Kontrakt, der dem Verleger eine so disproportionierte Überlegenheit einräumte, würde von keiner Kraft sein, da er gegen die wesentlichste Bedingung aller Kontrakte, die auf Billigkeit gegründet sein müssen und nur insofern gültig sind, gröblich verstieße.‘ Ein solcher Verlagsvertrag, so würden wir heute sagen, sei sittenwidrig und er verstoße gegen jene allgemeinen Geschäftsbedingungen, die im Verhältnis Autor-Verleger die Norm zu sein hätten.“ Von Seiten der Verleger ist bisher keine Antwort auf Reemtsmas Forderung gekommen. Es sei denn, man werte die Tatsache, daß der Text im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel um die direkte Ansprache an die Verleger gekürzt erschien, als solche.
Birgit Dankert und Lothar Zechlin, Literatur vor dem Richter, Nomos Verlagsgesellschaft, 362 Seiten, 48 DM
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