Deutsche Herolde im sowjetischen Dress

Vierzig Minuten lang dominierten die BRD-Handballer das Finale des Baltic-Cups gegen die sowjetischen Olympiasieger  ■  Aus Dortmund Ernst Thoman

„Wir“ sind wieder wer - vierzig Minuten lang zog der vaterländische Plural in der Dortmunder Westfalenhalle handballerische Kreise. Im Finale des sprachlich-geografisch neugestylten „Baltic„-Cups (ehedem Ostsee-Pokal) führte das bundesdeutsche Team gegen Olympiasieger Sowjetunion mit 11:8 zur Pause und konnte frischgestärkt auf vier Tore Abstand kommen. DHB-Trainer Petre Ivanescu: „Wir hatten eine gute Stimmung in der Kabine.“

Im letzten Drittel sackten die Muskeln in den sauren Bereich. Fünf Spiele in sechs Tagen, dazu ein milchsäure -konditioniertes Training des Transylvaners Ivanescu, kippten in zwanzig Minuten in ein 21:16 für die „Sbornaja“ um.

Ivanescu, der nicht nur Niederlagen haßt wie die Pest (Torhüter Andreas Thiel über den Trainer: „Ich muß ihn hassen“) ließ sich die schlaffen Mundwinkel durch die Komplimente seines Kollegen Anatoli Jewtuschenko um keinen Millimeter liften. Der sowjetische Fuchs bedauerte, in der UdSSR über nicht so viele gute Spieler wie Ivanescu zu verfügen, machte für den Erfolg allein die bessere Physis verantwortlich und hatte bei dem Gold in Seoul keine stärkere Mannschaft gesehen als die DHB-Auswahl vom Sonntag.

Jewtuschenko („Noch Fragen zur Taktik, meine Herren?“) nutzte den Auftritt im bundesdeutschen „Handball-Mekka“ für weitere Werbung der Marke „Perestroika“. Gern würden sie wiederkommen, und viel öfter als in der Vergangenheit. Nach Gagin (Milbertshofen) und Rybakow (Heppenheim) kann mit weiteren Handball-Exporten gerechnet werden. Bewegt bedankte sich Jewtuschenko für die westliche Armenienhilfe und ließ sein Team gestern gegen eine Remscheider Kreisauswahl für die Opfer der Tiefflug-Katastrophe spielen.

So viel Bewegung zwingt nach dem Dortmunder Finale zur Überprüfung des Festlandssockels und der Gezeiten. Da umspülten nicht nur Ostseewellen die Bierstadt - die halbleeren Ränge erlebten einen innderdeutschen Nachmittag. Die Sowjets, auch ein betonter Grund der Trainerfreude, haben einen Werbepartner gefunden! „Deutscher Herold“ prangte auf den Rücken der roten Leibchen.

Und weil das Fernsehen kurzfristig die Anwurfzeiten umdiktierte, hatte die DDR im anschließenden Spiel um Platz 3 gegen Polen (30:22). Heimrecht. Zahlreiche Zuschauer, die kurz vor 16 Uhr zum ursprünglich angekündigten Finalzeitpunkt die Halle betraten, sahen nur noch freudige Sowjets auf dem Parkett. Schwarzrotgoldene Fähnchen, eigentlich für das Finale gedacht, kamen doch noch zur Entfaltung.

Einer allerdings kam nicht. Mit Jochen „Scholle“ Fraatz fehlte dem DHB-Team ausgerechnet der Mann von der Nordsee. Der nominell beste Linksaußen der ganzen weiten Welt pflegt im heimischen Cuxhaven seine Windpocken, so hieß es überall. Tatsächlich, so wurde unter der Hand gemunkelt, sei der Trickwerfer von einer allergischen Reaktion befallen, und für die könnte kausal der Trainingschliff des Petre Ivanescu sein. Ein Stradivari quält sich nun mal nicht gern.

Mal abwarten, wann „Scholle“ auftaut. Bis zur B-WM in Frankreich warten noch drei Wochen Drill. Ivanescu will sowieso nur Fünfter oder Sechster werden, um 1990 wieder erstklassig zu sein. Anatoli Jewtuschenko sieht elf Jahre nach dem Weltmeistererfolg mit Vlado Stenzel für das bundesdeutsche Team keine Probleme. Schließlich sind „wir“ wieder wer - wenn auch nur für vierzig Minuten.