„Football ist der wahre Hammer“

Sport in Australien: Weitaus leidenschaftlicher als die Volleys von Pat Cash lieben die Australier die Teepausen der Cricket-Cracks und die rauhen Kopfstöße der Recken des „Aussie Football“  ■  Aus Melbourne Herr Thömmes

Große Einigkeit: das Publikum bei den „Australian Open“ sei das fachkundigste aller Grand-Slam-Turniere. Sagen jedenfalls die einheimischen Journalisten. Wie soll ich sie nachprüfen, diese Sachkunde? Begeisterung? Die mißt sich vielleicht in Phonstärke, und die ist, na ja, ganz normal. Gekreische bei Stars wie Steffi Graf, patriotische Anfeuerung für die Landsleute.

Den Krach machen in der Regel Kids, die aussehen, als wollten sie eigentlich zum Strand und hätten sich verlaufen. Badelatschen, Shorts, weit ausgeschnittenes T-Shirt. Im Grunde sind die Australier ein Volk von Beach-Boys und Beach -Girls, was kein Wunder ist, weil ja fast jeder in der Nähe des Meeres wohnt. Das bestimmt ihre natürliche Lebensweise, und wer auf einem australischen Flughafen landet, könnte vermuten, es handle sich eigentlich um einen Umschlagplatz für Surf-Bretter.

Mit diesen unförmigen Dingern fliegen sie nach Bali und zu anderen warmen Plätzen dieser Erde, obgleich jetzt hier Sommer ist. Das ist nur zu verständlich, denn der Sommer ist eher ein launischer Herbst, und was ich als erstes gelernt habe, ist, nie ohne Pullover und Sonnencreme das Haus zu verlassen, wobei die Sonnencreme seltener zum Einsatz kommt.

Cricket geht ans Herz

Die Anzahl der Leute, die statt zum Strand ihren Weg zum Tennis finden, hält sich in Grenzen; was auch für die Anteilnahme überhaupt gilt. Das zeigt nicht nur der Augenschein, sondern wird durch eine ebenso kleine wie repräsentative Umfrage von mir bestätigt. Allenfalls gibt es ein Interesse für die Resultate der großen Namen.

„Warst Du wieder beim Tennis?“ fragen meine Freunde, wenn ich spät abends zurückkomme, und sagen: „Australien hat heute mit drei Runs gewonnen.“ Drei Runs? Die Rede ist von Cricket, was sonst, und das geht den Australiern weit mehr ans Herz. Mark Woodforde mag verlieren, oder Pat Cash, das ist einfach nichts gegen eine Flaute des Cricket-Teams.

Nationale Krisenstäbe wurden zusammengerufen und die Zeitungen waren voller Jammer, als zur Jahreswende einige Testspiele in die Hose gingen. Und natürlich war ich beim Spiel der „World Series“ gegen Pakistan, zumal Ricky sich anbot, mich in alle Geheimnisse einzuweihen.

Einen wesentlichen Unterschied zum Tennis konnte ich schon vorher ausmachen. „Guter Mann“, sagte Bryce Thomas, der Manager des ehrwürdigen „Melbourne Cricket Club“, als er mir das Ticket in die Hand drückte, „sehen Sie zu, daß Sie morgen ein anständiges Hemd mit Kragen anhaben, sonst kommen Sie nicht rein.“ Am Eingang zum Cricketplatz geht die Welt der Strandmenschen zu Ende, und auf der Rückseite der Eintrittskarte wird davor gewarnt, ohne Socken usw. zu erscheinen.

„Very british“ geht es hier zu, und die „Members Lounge“ gleicht einem düsteren Londoner Pub. Die Kneipe ist ein nützlicher Treffpunkt bei Regenpausen und überhaupt. Ein Cricketspiel dauert fünf Tage, Zeit genug, um sich auch bei Sonnenschein für eine Weile zurückzuziehen. „Fünf-Tage -Spiele sind furchtbar langweilig“, finden in unserer schnellebigen Welt selbst erklärte Anhänger des Cricket, aber ein „One-day-game“, „Junge, das ist eine echt aufregende Sache“.

Acht Stunden dauern die nur, und diese geballte Ladung an Action lockt mittlerweile sogar Hooligans an, die sie hier „Yobbos“ nennen und deren Verhalten von den Zuschauern auf den Balkonen (Krawatte erforderlich) schwer mißbilligt wird.

Zum Spiel gegen Pakistan kamen 50.000, mittags um zwei, an einem ganz normalen Werktag, und obwohl es mindestens das achte Länderspiel innerhalb von drei Wochen war. Es ergab sich, daß wir häufiger in den Pub mußten, die letzte Regenunterbrechung zog sich von sieben bis neun Uhr hin, und danach waren immer noch 30.000 vor Ort um zu sehen, ob die Pakistani mit der auf 19 reduzierten Zahl an „Overs“ den Durchschnit an „Runs“ erreichen würden, den Australien vorgelegt hatte. Sie schafften es nicht, und in den letzten 15 Minuten kam richtig Stimmung auf.

Es war rührend, wie besorgt die Freunde sich erkundigten, ob es mir gefallen habe. Ich antwortete wahrheitsgemäß, Baseball sei noch langweiliger und das Bier ganz in Ordnung, worauf sie spürbar aufatmeten. Letztlich bedauern sie mich doch, denn ich bin - bei aller Liebe zum Cricket - zur falschen Zeit hier. Im Moment wird kein „Football Aussie Rules“ gespielt, und das, sagen alle, sei wirklich der wahre Hammer. Das Jahr wird hier weniger nach Jahreszeiten unterschieden, es gibt vielmehr die Cricketsaison (von Oktober bis März) und die Football-Saison.

Im Football sind die Australier Weltmeister, was nicht zuletzt daran liegt, daß es sonst nirgendwo gespielt wird. Und damit ich mir ein Bild von der einzig echten australischen Sportart machen konnte, mühte sich Ricky, einige Videos aufzutreiben, darunter die Highlights der Football-Geschichte.

Die bestehen weitgehend aus linken und rechten Geraden, Uppercuts und Kopfstößen, sowie Tritten in den Unterleib des Gegners. Die Helden dieser Auseinandersetzung sind eindrucksvolle Recken, von denen einige ohne viel Schminke Boris Karloff als Frankenstein hätten doublen können. Ganz anders als beim körperlosen Cricket, wo mit einem Stock nach einem geworfenen Ball geschlagen wird und alle Stunde ein Wägelchen aufs Feld rollt, damit die Akteure in Ruhe ihren Tee nehmen können, wälzen sich beim Football gewaltige Knäuel von Leibern auf der Suche nach dem eiförmigen Leder, um es schließlich durch zwei lange Stangen zu befördern.

Ich sah mir dann noch die Hälfte eines ganz normalen Spieles an, um einen Eindruck vom wirklichen Leben zu gewinnen, und muß sagen, es ist ebenso rasant wie wild, was möglicherweise auch daran liegt, daß selbst der größte Rüpel nicht vom Platz gestellt werden kann. Das Beste aber, versichert Ricky, seien die letzten Minuten eines Matches, weil für die je achtzehn Spieler eines Teams nur zwei zum Auswechseln zur Verfügung stehen, und sich oft schwer bewegungsunfähige Invaliden über die Runden schleppen.

Und wieder fragten die Freunde, wie ich mit dem Fußball der ganz anderen Art zufrieden wäre, und dabei sahen sie mich mit erwartungsvoller Miene an.: „Nun sag schon, daß wir Australier völlig irre sind.“

Jawohl, Ihr seid, und ich bin mittlerweile überzeugt. Ich werde vom Tennis ablassen und irgendwann wiederkommen, im Winter, wenn bei uns Sommer ist, zur Jahreszeit der „Aussie Rules“.