Prag in der Offensive gegen Opposition

■ Chronik der vergangenen Woche legt nahe: Rigides Vorgehen der tschechoslowakischen Sicherheitskräfte gegen Jan-Pallach-Gedenken soll oppositioneller Artikulation einen Riegel vorschieben / Hetze in der Parteipresse, Verhaftungen, Verletzte ohne Rücksicht auf Verluste

Berlin (taz) - Mit Bombendrohungen, so schrieb die Parteizeitung der KPC, 'Rude Pravo‘, versuchten die „staatsfeindlichen Aufrührer“ nun ihre Ziele zu erreichen, nachdem die Sicherheitskräfte durch entschlossenes Einschreiten den Demonstrationen einen Riegel vorgeschoben hätten. Hintergrund dieser erneuten Eskalation des Propagandafeldzugs der staatlichen Medien gegen die demokratische Opposition der CSSR: Leserbriefschreiber, die sich in der 'Rude Pravo‘ gegen die Demonstrationen ausgesprochen hatten, hätten anschließend anonyme Bombendrohungen bekommen, so jedenfalls 'Rude Pravo‘. Bereits in den letzten Tagen hatte die offizielle Presse in Prag alles getan, jene Demonstranten und Bürger zu kriminalisieren, die vor dem Wenzelsdenkmal „Freiheit“ und „Laßt Havel frei“ gefordert hatten.

Am Wochenende ließen sich die Behörden sogar geradezu kafkaeske Methoden einfallen, Kundgebungen zu verhindern. Ein Hungerstreik in einer Kirche wurde beendet, indem man das ganze Viertel hermetisch abriegelte; ein Gedenkmarsch zu Ehren Jan Palachs wurde verhindert, indem man sämtliche Zufahrtsstraßen zu Prags größter Sehenswürdigkeit absperrte. Und in Palachs Heimatgemeinde Vsetaty bewachten Polizisten dessen Grab, nachdem unabhängige Initiativen zu einer Kranzniederlegung aufgerufen hatten. Selbst der Bahnhof wurde gesperrt, die Züge fuhren, ohne anzuhalten, durch die Ortschaft, und wer sich dort aufhielt, ohne gemeldet zu sein, wurde festgenommen und in einem Bauernhof interniert. Nach jüngsten Angaben von Bürgerrechtlern wurden in der vergangenen Woche rund 800 Leute festgenommen, von denen viele, darunter der Schriftsteller Vaclav Havel, noch im Gefängnis sind. Den meisten drohten Verfahren wegen „Rowdytums“, bei Havel müsse man sogar mit einer Gefängnis strafe von zwei bis drei Jahren rechnen. Charta77 und der Prager Erzbischof Frantisek haben am Montag die Regierung zu einem „Dialog mit der Gesellschaft“ auf gerufen.

Das groteske und teilweise auch brutale Vorgehen der Prager Führung gegen eine relativ kleine Opposition, die ihr kaum ernsthaft gefährlich werden kann, hat Methode. Einiges weist darauf hin, daß den Behörden die Demonstrationen sogar gelegen kommen, selbst wenn das außenpolitische Image der Regierung darunter leidet. Nur so ist es zu erklären, daß die Polizei in Prag zumindest einige der Protestkundgebungen, die sie anschließend brutal auflöste, quasi selbst erst ausgelöst hat. So war es bereits am Montag letzter Woche nach der Kranzniederlegung einiger Oppositioneller zu Protesten gekommen. Der Bürgerrechtler Jan Palous, der dabei war: „Niemand hatte zuvor zu einer Demonstration aufgerufen, das war nur eine Sache von einigen Charta-Leuten, die sich dazu verabredet hatten. Die legten die Blumen nieder, dann kamen Stadtpolizisten, die ihnen die Ausweise abnahmen.“

Selbst als man dann insgesamt vierzehn Personen festnahm und abtransportierte, habe es kaum Proteste gegeben. Erst später habe es eine Demonstration gegeben. „Mir scheint, die Polizei hat sich da selbst einen Vorwand zum Einschreiten fabriziert“, meint Palous, der zwei Tage später auch verhaftet wurde. Am Mittwoch dann griff die Polizei überhaupt nicht ein, als mehrere tausend Prager vor dem Wenzelsdenkmal demonstrierten; am nächsten Tag trieb man die Demonstranten dann regelrecht zusammen, um sie zu verprügeln.

Offenbar hat diese Strategie zum Ziel, eine Rechtfertigung für eine radikale Abrechnung mit der Opposition zu liefern, indem man diese systematisch kriminalisiert und diskreditiert. Obwohl inzwischen fast jeder Prager weiß, daß auf dem Wenzelsplatz Hausfrauen, Rentner, Arbeiter und Studenten verprügelt werden, ist in den Medien nur von „staatsfeindlichen Elementen, Aufwieglern, die von westlichen Diversionszentren angestachelt werden, und Kriminellen“ die Rede. Daß im Fernsehen und der Boulevardpresse die kompletten Adressen der vierzehn am letzten Montag Festgenommenen veröffentlicht wurden, soll vor allem deren Angehörige und Freunde einschüchtern. „Du bist doch die Frau von diesem Anführer“, bekam die Frau eines der Festgenommenen am Arbeitsplatz zu hören. Jetzt rechnet die Lehrerin sogar damit, strafversetzt zu werden. Anonyme Beschimpfungen über Telefon sind ebenfalls an der Tagesordnung, und ihre Schüler erzählten ihr, auf dem Wenzelsplatz habe man Punks verhaftet: „Recht so, weg mit denen.“

Von Anfang an haben die Medien die Proteste regelrecht aufgebauscht, als wollten sie ihnen den Zulauf sichern. Das immerhin scheint inzwischen auch gelungen zu sein.

Klaus Bachmann