Atommüll-Krimi noch immer ungeklärt

Bonner Atomausschuß begann mit Vernehmungen zum Atommüllskandal um Transnuklear / Nuklearexporte der Firma NTG nach Pakistan gehören zum Untersuchungskatalog / Wer die Fässer mit dem exotischen Abfallgemisch füllte, ist noch immer unklar  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Abseits von allem, was Bonn zur Zeit in Aufregung versetzt, begann der Atomausschuß in diesen Tagen mit den Vernehmungen zu einem längst vergessenen Skandal: Transnuklear und der Atommüll. Man erinnert sich vage: Über 2.000 falsch deklarierte Fässer, zwei ominöse Selbstmorde, Millionen Schmiergelder.

Fast ein Jahr hat der Untersuchungsausschuß gebraucht, um sich bis zu diesem Thema vorzuarbeiten. Nur unwillig beteiligte sich die Union bisher an der Untersuchung, ob der Atomwaffensperrvertrag gebrochen sei. Doch jener „ungeheuerliche Verdacht“, die BRD habe bombenfähiges Material nach Pakistan oder Libyen geliefert, ist längst zerronnen - heute weiß man, daß bei den Namen dieser Länder in den Amtsstuben die Alarmglocken auch aus anderen Gründen klingeln mußten. Die Export-Skandale schichten sich in Bonn wie die Dachziegel - der Atomausschuß schlurft hinterher. Unter dem Druck der aktuellen Aufregung um den Chemiewaffendeal mit Libyen sind nun auch die Koalitionsparteien bereit, die vor Weihnachten bekannt gewordenen Nuklearexporte nach Pakistan - unter anderem durch die hessische Firma „Neue Technologien GmbH“ (NTG) in den Untersuchungskatalog aufzunehmen. Während in Pakistan im Sommer die Tritium-Anlage der NTG in Betrieb ging, stocherte der Ausschuß noch konsequenzlos in Alfred Hempels Geschäften mit schwerem Wasser herum. Augenfälliger konnte der Alibi-Charakter dieses Gremiums kaum werden.

Nun wird eine neue Runde eingeläutet; zig Zeugen stehen wieder auf dem Programm, am Donnerstag dieser Woche zunächst der Hanauer Oberstaatsanwalt Farwick als Informant, am Freitag Minister Töpfer. Nach den bisher bekanntgewordenen Fakten ist im Atommüll-Krimi noch alles so unklar wie vor einem Jahr. Wer tat was wann warum in welche Fässer? War es überhaupt nur Müll oder doch auch brisantere Fracht? Und wer zog einen Nutzen aus all dem?

In rund 700 Fässern, die aus dem belgischen Mol in die Bundesrepublik zurückkamen, war kein deutscher Abfall, jedenfalls nicht der, der zur Bearbeitung nach Mol geliefert wurde. Der untersuchte Stoff enthält kein Cäsium, wie es bei Rückständen aus herkömmlichen Reaktorbetrieben der Fall sein müßte, dafür aber neben Plutonium auch Kobalt unbekannter Herkunft. Die verbreitete Annahme, dieser exotisch zusammengesetzte Müll rühre von einem Störfall im belgischen Forschungsreaktor BR-3 her, ist bisher nur eine These, die sich auf Angaben der belgischen Betreiber stützt, nicht jedoch auf staatsanwaltliche oder wissenschaftliche Erkenntnisse. Die Experten vom Kernforschungszentrum Jülich, die einen Teil der Fässer untersuchten, taten vor dem Ausschuß diese Frage dennoch als erledigt ab. Anders Staatsanwalt Farwick gegenüber der taz: Ob die Herkunft des Fässerinhalts jemals ganz aufgeklärt werden könne, sei fraglich. Möglich sei, meint der Chefermittler, daß Teile des Abfalls aus der angeblich seit Jahren stillgelegten Wiederaufarbeitungsanlage Eurochemie bei Mol stammten. Diese Anlage wurde von einem europäischen Konsortium betrieben und unterliegt heute nicht mehr der internationalen Atomenergie -Agentur (IAE0), nebenbei unterhält der DWK jetzt eine Pilotanlage zur Abfallverglasung. Für die Eurochemie-These spricht, daß das Plutonium nicht in der üblichen Koppelung mit Cäsium gefunden wurde: Das kann auf einen Abtrenn-, also Wiederaufarbeitungsprozeß schließen lassen.

Das Abfallgemisch war in den Mol-Fässern in einem Extra -Innenbehälter verborgen, mit einer Wandstärke bis zu drei Zentimetern und einem Fassungsvermögen von 60 Litern, der Rest des 200-Liter-Fasses dann aufgefüllt mit profanem Zement. Auch dafür haben die Jülicher Experten eine lapidare Erklärung: Ohne diese Doppel-Abschirmung hätte die Kobaltstrahlung oberhalb der zulässigen Grenze gelegen; die Belgier hätte auf diese Weise nur die Strahlenschutzvorschrift einhalten wollen und vielleicht „nicht gewußt“, daß das Verfahren deklarationspflichtig war.

Rein theoretisch, so räumte der für die Untersuchungen verantwortliche Professor Merz ein, „könnten Sie da reines Plutonium reintun und außen merkt man nichts“. Aber eine Verschleierungsabsicht, welche die SDP im Ausschuß vermutete, hält Merz für „sehr unwahrscheinlich“.

Völlig unbeachtet blieb bisher die Frage, ob nicht die Fässer jene Innenverstecke auch enthielten, als sie die BRD verließen - und für welche Zwecke sich deutsche Betreiber das System der Doppelabschirmung zunutze machen konnten. Schließlich fehlt weiterhin ein Motiv, weshalb die belgische Atommüll-Konditionierung mit 15 Millionen Mark „überbezahlt“ wurde ...

Die Spuren des bundesdeutschen Originalmülls scheinen sich allerdings in Belgien vollends zu verwischen: Teils wurde er verklappt, teils „verschwand“ er, teils wurde er bei der Konditionierung mit anderem „durcheinandergeworfen“ (Farwick). Für die Jülicher Atomwissenschaftler ist auch das kein Grund zur Aufregung - Professor Merz: „Sie müssen sich das vorstellen wie bei einer Apfelsaftpresse. Da können Sie auch nicht ankommen und sagen: Aus diesen drei Äpfeln möchte ich meine Flasche haben.“ Der Atomausschuß verspricht wieder Unterhaltungswert.