Meine Kulturrevolution

■ Dalis Beitrag zum französischen Mai 1968: Seine „paranoisch-kritische Methode“

Ich, Salvador Dali, Mitglied der römisch-katholischen apostolischen Kirche, zutiefst apolitisch und in geistiger Hinsicht Monarchist, stelle bescheiden und frohlockend fest, daß alle Aufschwünge der schöpferischen Jugend von heute sich zu einer einzigen Kraft vereinigen: zum Widerstand gegen die bourgeoise Kultur.

Die schönsten, tiefgreifendsten Kulturrevolutionen sind ohne Barrikaden gemacht worden, wenn die aufrührerische Gewalt den Geist allein belebte, der Herr ist über Raum und Zeit. Durch Ausgrabungen, eigentlich Anti-Barrikaden, die der Vergangenheit wieder ermöglichten, in die Zukunft einzufließen, durch Auffindung von Trümmern antiker Skulpturen hat sich im 16.Jahrhundert jene Kulturrevolution vollzogen, die zu Recht Renaissance heißt. Jede echte Kulturrevolution muß zur Verbindlichkeit eines neuen Stiles führen. Der Stil Louis XIV., eine Verherrlichung des Wiedererstehenden, wurde von der Revolution zugrunde gerichtet, die der Bourgeoisie eine erniedrigende Macht geben sollte. Die Kugelarchitekturen von Ledoux, die er in einer lyrischen, traumhaften und spielerischen Vision der Stadt den Arbeitern zugedacht hatte, sollten von den skeptischen, rationalen und funktionalen Bürgern aufgegeben werden.

Ich bringe der neuen Revolution, was ist habe, mämlich meine paranoisch-kritische Methode, die meiner Meinung nach zum glücklicherweise irrationalen Charakter der gegenwärtigen Ereignisse ausgezeichnet paßt. Im Lichte dieser Methode erlaube ich mir, folgende Vorschläge zu machen:

Die Farbe

Die Farbe der heutigen Kulturrevolutionen ist nicht mehr Rot, sondern Amethystblau, was an Luft, Himmel, Flüssiges erinnert. Diese Farbe entspricht dem Wechsel des Weltzeitalters. Im Zeitalter des Wassermanns, welches das nächste Jahrtausend prägen wird, werden keine blutigen Gewalttaten mehr auftreten. Zur Zeit haben wir gerade den Fisch ermordet („Gott ist tot!“), und sein Blut färbt das blaue Meer, weshalb die Wellen so amethystfarben sind.

Strukturen

Die bürgerliche Kultur kann nur im vertikalen Sinne ersetzt werden. Man entbürgerlicht die Kultur lediglich, wenn man die Gesellschaft entproletarisiert und die geistigen Funktionen nach oben, auf ihren göttlichen, transzendenten und legitimen Ursprung ausrichtet. Es muß eine Aristokratie des Geistes entstehen. Der königliche Mensch kann an seinem Hof nur Fürsten des Geistes dulden.

Was das Praktische angeht, empfiehlt es sich, die Denkmäler bürgerlicher Kultur zu quantifizieren. Sie nicht zerstören, sondern mit neuer Information besetzen, ihre Bestimmung verändern. Beispiel: Am Fuß des Denkmals von Auguste Comte einen Reliquienschrein für die heilige Klothilde aufbauen, die Schutzherrin der Menschheit gemäß dem positivistischen Wahnsinn. Dieser Reliquienschrein könnte eine mit Helium gefüllte Amethystwiege sein, in welcher zur delectatio morosa studentischer Voyeurs und zur Erholung von ihren streng wissenschaftlich kontrollierten halluzinogenen Versuchen nacheinander die schönsten nackten Mädchen schwämmen, und zwar im Zustand der Hibernation.

Aus dem gleichen Grunde schlage ich vor, die öffentlichen Denkmäler gewisser Städte mit Waffentrophäen zu schmücken; sie sollen von Künstlern hergestellt werden, die wie Paco Rabane imstande sind, den Ausbruch des Jahrtausends des Wassermanns zu feiern.

Quantifizierte Institutionen

Lustdämpfenden Organismen wie zum Beispiel der Unesco einen Schuß Libido beigeben. Die Unesco zum Ministerium für öffentliche Verblödung ernennen, damit man nicht auf das verzichten muß, was bereits gemacht worden ist. Ihr die lobenswerte folkloristische Prostitution angliedern, aber unter Zusatz einer stark libidinösen geistigen Energie. Dieses Zentrum der Superlangeweile dadurch in eine regelrechte erogene Zone unter der Schirmherrschaft des heiligen Ludwigs verwandeln, des ersten Gesetzgebers der käuflichen Liebe.

Gerechtigkeit

Aktivierung kybernetischer Forschungsausschüsse zur Wiedererweckung und Verherrlichung großer, dem Materialismus geopferter Gedanken. Beispiele: das kombinatorische Räderwerk des Raimundus Lullus, Raimundo Sabundes Theologia naturalis, die Lehre des Paracelsus, Gaudis von der mediterranen Gotik inspirierte Architektur, die Hyperaxiologie des Francesco Pujols, Raymond Roussels Anti -Jules-Verne-Poetik, die Theoretiker des traditionellen mystischen Denkens, alle wirklich Inspirierten. Ihre unangemessenen Gräber nicht entweihen. Man soll sie ausgraben und von neuem begraben, aber im prächtigsten futuristischen Mausoleum, das Nicolas Ledoux erdacht hat.

Anmerkung:

Wo die Kulturrevolution vorbeizieht, muß das Phantastische keimen.

Paris, Sonnabend, den 18.Mai 1968

Salvador Dali