Zwischen Macht- und Wahrheitsfindung

■ Parlamentarische Untersuchungsausschüsse als Balance-Akte des Rechtsstaats / Sozialdemokratische Juristen sorgen sich über die Hilflosigkeit der Genossen Zeugen vor dem Genossen Ausschußvorsitzenden

Mit parlamentarischen Untersuchungsausschüssen fängt der Rechtsstaat, und mit parlamentarischen Untersuchungsausschüssen hört der Rechtsstaat auf. Welcher der beiden Sätze richtig ist, ist unter den Juristen in der Bremer SPD umstritten. Der Streit wurde am Montag abend von und vor rund 50 Mitgliedern des „Arbeitskreises sozialdemokratischer Juristen“ (ASJ) in der „Glocke“ öffentlich ausgetragen - rund 50 Meter entfernt vom ständigen Tagungsort der beiden Bremer Untersuchungsausschüsse zu St.-Jürgen-Klinik und Geiselaffäre.

Das Ergebnis dieses Streits hängt offensichtlich sehr davon ab, wer mit welchem Parteibuch in welchem Bundesland aus welcher Perspektive zu welchem Zeitpunkt darüber zu entscheiden hat. Am Montag abend lautete es: Unentschieden. (Was vielleicht auch daran lag, daß die heimliche Hauptperson fehlte: ASJ-Mitglied und St.-Jürgen-Ausschuß -Vorsitzender Andreas Lojewski war zur Selbst-Verteidigung nicht angetreten.)

Für den Bremer Anwalt Lam

bert Brieske sind parlamentari sche Untersuchungsausschüsse „die letzten Restbestände der Inquistition“. Das demokratische Prinzip der Gewaltenteilung, so Brieske, scheint für sie nicht zu gelten: „Ausschüsse sind Verfolgungsbehörde und Gericht in einer Instanz“. Ausschüsse ziehen unbescholtene Bürger vor die Mikrofone öffentlich rechtlicher Sendeanstalten, zwingen sie unter Androhung von Zangsmitteln zur Preisgabe intimster Angelegenheiten und verweigern ihnen gleichzeitig die mageren Rechte, wie sie die Strafprozeßordnung selbst jedem Angeklagten zubilligt. Sie vorverurteilen Politiker, ohne ihnen auch nur die Chance einer Rechtfertigung einzuräumen, sie vernichten sie in ihrer moralischen Existenz, ohne selbst über einen Funken ethischer Kompetenz zu verfügen.

Parlamentarische Ausschüsse, so auch Brieskes Anwaltskollege Günter Bandisch, üben eine ungeheure Macht aus, ohne daß ihre Macht demokratisch zu kontrollieren oder durch Gerichte, Zeugenbeistände, Anwälte auch nur hinreichend zu begrenzen wäre.

Dringend, so das Plädoyer einer dem Augenschein nach knappen Mehrheit unter Bremens versammeltem rechtspflegenden Sozialdemokraten, müßten deshalb die Rechte von Zeugen und ihren Anwälten erweitert werden, die Ausschußsitzungen weniger öffentlich abgehalten und die Intimsphäre besser geschützt werden.

Bei allem Verständnis - doch einigermaßen anderer Meinung war da der von der ASJ um das Hauptreferat gebetene Genosse Professor Hans-Peter Schneider, renommierter Staatsrechtler und - obwohl gebürtiger Bremer - wahlbeheimatet im schwarzen Niedersachsen, wo nicht Sozialdemokraten dank erfolgreicher Ausschuß-Arbeit um Ruf und Leute fürchten müssen, sondern Christdemokraten.

Auch Schneider sieht den „unauflöslichen Widerspruch aller parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, nämlich einerseits Instrumente der Wahrheitsfindung, andererseits Instrumente der politischen Auseinandersetzung“ zu sein. Sicher: Auch Schneider hält nichts von Vorverurteilungen, sachfremden

Intimschnüffeleien und falschen Vorhalten. Aber er kennt auch die Tricks der Arroganz der Macht. Die Selbstschutzmechanismen eines Verwaltunsgapparats, der er Aussagegenehmigungen verweigert, Betroffene vorsorglich mit Disziplinar-und Ermittlungsverfahren überzieht, nur damit sie einem Untersuchungsauschuß nicht mehr Rede und Antwort stehen müssen, er kennt den plötzlichen Rollenwechsel mächtiger

Unternehmensvorstände, die sich vor Untersuchungsausschüssen plötzlich in kleine „Privtaleute“ verwandeln, und von Verwaltungs-Bürokraten, die sich jahrelang um die Intimsphäre anderer Leute bekümmert haben und auf dem Zeugenstühlechen pötzlich um die eigene zittern. Und er hält das Recht jeder Opposition auf effektive Kontrolle der Regierung für ein gleichrangiges Recht neben dem Recht des einzelnen auf

Schutz seiner Persönlichkeits rechte.

Tip des berühmten Genossen Hans-Peter Schneider an seine weniger berühmten Bremer Kollegen: Bremen mal nicht so wichtig nehmen, auch mal nach Bonn (Flick, U-Boot), Niedersachsen (Spielbanken) und Schleswig-Holstein (Barschel) gucken. Und: Beim Weg an der Macht bzw. an die Macht ihre Kontrolle nicht vergessen.

K.S.