WEGE ODER IRRWEGE NEUER MUSIK

■ 5.Konzert der Inventionen '89

Inventionen, das ist das Festival Neuer Musik Berlin, veranstaltet von der Akademie der Künste mit dem Künstlerprogramm des DAAD, in Zusammenarbeit mit dem Elektronischen Studio der TU und den Freunden Guter Musik Berlin e.V., das seit dem 18.12.'88 bis 23.2.'89 mit visuellen und akustischen Darstellungsformen möglichst viel über zeitgenössische Musik aussagen will, ein Forum für musikbezogene, bildende Künstler und für Komponisten bildet und durch seine Vielzahl von unterschiedlichen Stilrichtungen und Interpreten hervorragende Möglichkeiten zur Orientierung bietet.

Das 5. Konzert, ein Kammermusikabend mit dem Silesian String Quartet aus Polen (Marek Mos, 1. Violine; Arkadinsz Kubica, 2. Violine; Lukasz Syrnicki, Bratsche und Piotr Janosik, Violoncello), Harry Sparnaay, Baßklarinette sowie Nicola Bernardini und Alvin Curran (Elektronik), fand am Montag im Konzertsaal der Akademie der Künste statt.

Zeitgenössische Musik nach der Bedeutung einer musikwissenschaftlichen Kategorie, einer epochalen Einordnung oder nach ästhetischen (oder auch gerade nicht) Kriterien zu bewerten, ist detailliert nur schwer möglich und hängt auch stark vom Willen der Darstellenden und Konsumierenden ab sowie mit dem subjektiven Empfinden zusammen. Überzeugt haben mich in erster Linie die Werke der beiden Polen: Pawel Szymanski, der Komposition in Warschau und Wien studierte und im letzten Jahr Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD war und Witold Szalonek, dessen Wege von Czechowice über Kattowiz und Paris nach Berlin führten, wo er seit 1973 Professor für Komposition an der HdK ist. Szymanskis „Zwei Stücke für Streichquartett“ aus dem Jahr 1982 sind vor allem durch die dynamische Struktur und ihren formalen Ablauf, mikropolyphonisch um den Ton Es aufgebaut, geprägt.

Witold Szaloneks „Inside? Outside?“ (1986) für effektvolle Baßklarinette, mit vollendeter Technik und musikalischem Einfühlungsvermögen zu Gehör gebracht und Streichquartett mit virtuos erweitertem Klangspektrum, das durch das Geschick der Musiker an die dämonische Inkarnation Paganinis erinnert (vgl. die Aussage des Arbeitsprojektes The Relative Violin, das auch ein künstlerischer Bestandteil der Inventionen war), fand am Montag seine deutsche Erstaufführung. „Musikalisches Material“ fand der Komponist für dieses Werk im Gregorianischen Choral und der Musik Schwarzafrikas, was dem Hörer ohne Hintergrundinformationen kaum bewußt wird. Vieles ließe sich über dieses Stück aussagen, die Faszination liegt jedoch am ehesten in dem Kontrast zwischen konzeptorischer Strenge und ausscheifender, teilweise humoresker Phantasie des in der Gestalt bogenförmigen Werkes. Von Zoltan Jeney, die taz berichtete am 6.11.'88 über diesen Komponisten, Mitbegründer des Studios für Neue Musik in Ungarn, war die Uraufführung der 2.Fassung seines „Sostenutos für Streichquartett“ (1988) zu hören. Sein Stück bildet interessante Klangräume aus, wirkt aber durch seine konsequente, harmonische Senkrechtstruktur kaum als ausfüllendes Objekt. Außerdem bleibt Alvin Curran, mehrfach amerikanischer Gast bei Berliner Künstlerprogrammen und sein „VSTO (Acronym für die Via San Teodore Otto, dem Wohnort des Komponisten Scesi) Alvin Curran for Giacinto“ (1988) für Streichquartett und teilweise recht umfassende, die Basis der Streicher live transformierende Elektronik zu erwähnen, eine ewig lange, mal einschläfernde, mal innerlich aufrüttelnde Klangkulmination, bestehend aus einer Mischung von Minimal music, klassischem Formtypus und Synthesizer-Performance.

Wo Wege und Irrwege der neuen Musik liegen, läßt sich nur schwer aussagen. Musikmachen und -schaffen heute, Musik nach Auschwitz, Musik jahrtausendealter Tradition bietet riesige Möglichkeiten oder überhaupt gar keine. Der Bereich der Wiedergabe und Interpretation dieser Musik erfordert technische Raffinesse und eine intellektuelle Auseinandersetzung mit Zeit und Werk, was das Silesian String Quartet beeindruckend gezeigt hat. Wer sich über das Programm informieren will, erhält freundliche Auskunft unter der Telefonnummer 310 003 28. Der hervorragende Katalog zu den Inventionen '89 kostet 10 Mark.

Axel Körner