„Ihn braucht Berlin“ oder „Weg damit!“?

■ „Perspektive Berlin“ lud ein zur Diskussion über den Verfassungschutz / Heinrich Lummer: „Schnüffeln muß sein“

Sie kannten sich größtenteils untereinander, die ca. 150 Personen, die am Montag abend zur Veranstaltung der SPD -nahen „Perspektive Berlin“ in den Konzertsaal der HdK gekommen waren. Neue Töne waren da kaum zu hören, die meisten Informationen auch schon allen aus der Zeitung bekannt. Bei der Zusammenkunft kritischer Intelligenz, bestehend aus Rechtsanwälten, Journalisten und Personen aus dem SPD/AL-Umfeld wäre es auch geblieben, wäre da nicht Heinrich Lummer gewesen. Der spielte die Rolle für die er eingeladen war: dankbares Feindbild. „Es kann doch sein“, sagte er etwa zur Gaudi der etwa 150 Anwesenden, „daß ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes heute abend hier ist, weil er sich für das Thema interessiert!“ Zu einer Observation von ca. 150.000 Personen, wie die Veranstalter angaben, „wären die doch gar nicht in der Lage“. Lummer zog Parallelen zu Journalisten und Vfs-Beamten. „Schnüffeln muß sein“, fand er. Die Methoden journalistischer Arbeit, nämlich Material zu sammeln und Archive anzulegen, hätten einiges mit denen des Amtes gemein. Daher verstehe er auch die ganze Aufregung nicht. Schließlich sei er ja genauso wie Pätzold „in der Kiste drin, und zwar völlig zu Recht“, eine Bemerkung, die das Publikum mit Applaus quittierte, wobei er „den Unterschied durchaus“ sehe, „der uns in die Akten hineingebracht hat“. Die Rollenerwartungen erfüllten auch die anderen Podiumsteilnehmer. Linksaußen war und saß Renate Künast (AL), Rechtsanwältin und ehemalige und zukünftige AL -Abgeordnete, der an den Schläfen ergraute Michael Sontheimer, Ex-tazler, jetzt'Zeit'-Journalist, der SPD -Abgeordnete Erich Pätzold, Lothar Jachmann, Verfassungsschützer aus Bremen, der FDP -Bundestagsabgeordnete und Ex-Berliner Senator Wolfgang Lüder und Heinrich Lummer. Jachmann plädierte dafür, daß der „Verfassungsschutz durch den kritischen Bürger“ geleistet wird. Das Amt sollte aufhören, „Geheimdienst“ zu sein, es sollte vielmehr „Tendenzen aufspüren“ und sich als „Frühwarndienst“ verstehen.

Erich Pätzold griff den Begriff vom „Frühwarndienst“ auf, meinte aber, daß der Verfassungsschutz auf jeden Fall gegenüber „Spionage und Terrorismus“ abwehrbereit bleiben müsse. Pätzold erkannte an, daß auch in der Regierungsverantwortlichkeit der Sozialdemokraten der VfS ein unkontrolliertes Eigenleben geführt habe. „Ich schäme mich dafür“, rief er emphatisch. Schuld sei immer die Führung, denn von den meisten Mitarbeitern wisse er, „daß man ein ganz normales Behördenleben führen möchte“, sagte er zur großen Heiterkeit der sicherlich zahlreich vertretenen BehördenvertreterInnen. Pätzold, der sich selbstkritisch gab, kündigte an, daß die Genossen jetzt konsequenter die Aufklärung von Mißständen beim Verfassungsschutz betreiben wollten. Mindestens zwei Untersuchungsausschüsse soll es demnach in der nächsten Legislaturperiode geben. Einer soll sich mit dem Mordfall Schmücker beschäftigen, ein anderer „mit allem anderem“.

Michael Sontheimer lobte denn auch den „guten Herrn Pätzold“ und seine Verdienste um die Aufklärung von Mißständen. Er teilte mit, daß er inzwischen in den Besitz von Teilen seiner angeblich vernichteten Akte gekommen sei. Den Verfassungsschutz hielt er für eine „ungeheure Verschleuderung von Steuergeldern“. Die Beamten arbeiteten „ineffektiv und dämlich“. Da helfe nur noch die Abschaffung, meinte Sontheimer und war sich einig mit Renate Künast.

Wolfgang Lüder schlug vor, dem Datenschutzbeauftragten mehr Kontrollrechte einzuräumen. Datenschutzrechtlich müsse auch endlich eine „Abkoppelung des informationellen Gruppensex“ stattfinden. Der stellvertretende Datenschutzbeauftragte Garska, der sich in die Debatte einschaltete, regte an, vermeintlich Bespitzelte sollten sich häufiger an seine Behörde wenden. Er, der es wissen müßte, hielt die Zahl von 150.000 Überwachten für nicht übertrieben. „Die Zahl dürfte stimmen“, bestätigte er.

Rita Hermanns