Wer arbeitsunfähig wird, kriegt den Abschuß

■ Offener Vollzug in Bielefeld II (Oberems)

(...) Ich wurde von der Auswahlanstalt Duisburg-Hamborn nach Gütersloh verschubt. Nachdem man den Transport, der ca. acht bis neun Stunden dauert, hinter sich hat und in Gütersloh aus dem Bus kriecht, bekommt man sofort den allerbesten Eindruck eines offenen Vollzuges, man steht nämlich im Innenhof eines Geschlossenen, mit netten Betongitterchen und allem Schnick-Schnack, der dazu gehört.

Nachdem Kisten und Gepäck auf der Kammer weggeschlossen sind - du bekommst nämlich gar nichts davon, weil sie dir das Argument reindrücken, es lohnt nicht, die Plomben zu öffnen, weil man ja doch nicht dort bleibt. Man bleibt im Normalfall zwei Tage dort, hat man aber das Pech, donnerstags oder freitags dort einzutreffen, werden vier bis fünf Tage draus. Wenn du, weil du ja nicht in der Lage bist, deine Wäsche zu wechseln, fragst, wie es denn so mit dem Duschen aussieht, gucken sie dich an, als ob das Wort „Dusche“ irgendeiner anderen Sprache zugehört, die sie nicht beherrschen.

Dann tauchte ein „Beamter“ auf und eröffnete uns allen, nachdem er die Namensliste durchgegangen , wir würden alle ohne Ausnahme in den offenen Vollzug kommen. Nach diesem Zwischenspiel wird man auf irgendeine Zelle gestopft, und Schluß ist. Die Zellen sind alle voll belegt. Wir waren fünf, weil jeden Tag neue Sklaven rangekarrt wurden.

Am nächsten Tag geht es dann zu dem Gespräch mit dem Psychologen, der hier der Wichtigste für dich ist, er kann dir nämlich übel mitspielen. Und nachdem man den hinter sich hat, schleicht nochmal kurz in einem anderen Raum jemand um dich rum, von dem man nichts weiß und auch nichts erfährt, ist er jetzt Arzt oder nur Sani. Man erfährt von ihm nur, daß er ganz wild auf einen Aids-Test deinerseits ist. Fragst du ihn, was passiert, wenn du diesen ablehnst, sei es, weil schon einer gemacht wurde oder aus welchen Gründen auch immer, versucht der Weißkittel tatsächlich den Angstmacher zu spielen, indem er dir erzählt, ohne Zustimmung zu diesem Test sei es fast unmöglich, im offenen Vollzug zu verbleiben. Du brauchst dann bloß etwas von „muß ich mal mit dem Rechtsanwalt drüber reden“ murmeln, schon beschränkt sich deine Tauglichkeitsuntersuchung auf das bloße Wiegen. Zurück auf die Zelle, Tür zu und warten.

Am nächsten Morgen wirst du vor eine sogenannte „Spruchkammer“ gebracht. Da sitzen in einem Raum ein paar Leute, und einer davon erzählt dir: „Sie kommen in dieses oder jenes Lager, und unterschreiben Sie bitte hier - der Nächste.“ Zurück in die Wartezelle, wo alle anderen, die mit dir eingetroffen sind, rumrätseln, was das wohl für eine Bude sein mag, für die man eingeteilt wurde. Bei mir lautete der Spruch „Boke“.

Irgendwann wird man rausgeholt aus der Zelle, ergreift sein Gepäck, und los geht es. Wenn dir das Glück hold ist, fährst du mit einem ganz normalen Reisebus, der noch nicht mal vergitterte Fenster hat, außer dem Gitter, das den Fahrer und den Beifahrer vor den bösen Knackis schützt. Man kann ja nicht vorsichtig genug sein, schließlich ist man im offenen Vollzug.

Meistens wird man allerdings mit einem VW-Bulli weggekarrt, der schöne vergitterte Fenster hat, die auch noch zu drei Viertel aus Milchglas bestehen. Ich denke mir, das muß so sein, damit der Inhaftierte sich nicht durch die neugierigen Blicke von draußen gekränkt fühlt. Schießlich ist man auf dem Weg in ein Resozialisierungszentrum erster Güte, und da möchte man sicher, von Seiten des Vollzuges, alles Unangenehme von der Psyche des Herrn Strafgefangenen fernhalten. Sie sind hier sehr darauf bedacht, alles von dir fernzuhalten, sei es Besuch, Urlaub oder sonst eine Lockerung oder Annehmlichkeit.

Also, nachdem der Bulli ungefähr eine halbe Stunde durch die Wildnis schaukelte, hielt er mitten im Busch vor einem Gittertor, eingerahmt mit drei Meter hohem Maschendraht, der oben als Verzierung drei Lagen Stacheldraht von der nichtrostenden Sorte trägt. Drinnen ein barackenähnlicher Bau in L-Form, dessen Fenster mit dem schönsten Gitter allerdings in frischestem Weiß - versehen ist.

Nachdem du den Bau betreten hast, hörst du sofort hinter dir das wohlbekannte Geräusch der zufallenden Eisentür und das Drehen des Schlüssels. Der Beamte sagt dir, wo du deine Taschen und Kartons hinstellen darfst, und schließt dich danach in einen Warteraum. Nachdem er dann die mitgeführte Akte angesehen hat, was sich ziemlich hinziehen kann, geht man mit ihm zur Kammer. Dort bekommst du deine Standardausrüstung, und dann wird erstmal, obwohl man aus der Geschlossenen kommt, das Gepäck gründlich gefilzt.

Bei dieser Prozedur bekommst du dann zum wer-weiß -wievielten Mal erklärt, daß du dich nun im offenen Vollzug befindest. Auf ungläubiges Staunen deinerseits reagiert er allerdings nicht. Mit ein paar markigen Sprüchen, wie „Machen Sie hier nur Ihre 'Arbeit‘, dann klappt auch alles andere“, und ähnlichem wirst du dann fürs erste entlassen und darfst auf deine Zelle schleichen - hier Stube genannt -, deinen Spind einräumen. Der wiederum heißt wirklich Spind und nicht etwa Schrank. Danach bist du dir erstmal selbst überlassen.

Das war meine Ankunft und die ersten Eindrücke über das Gulag Boke. Über die anderen 21 Außenstellen kann ich nichts aus eigener Erfahrung sagen, aber es soll sich nicht wesentlich von dem, was hier abgeht, unterscheiden. Jetzt zu dem, was hier so passiert.

Der Arbeitseinsatz richtet sich danach, ob man vom Psychologen als gelockert oder nicht in den Akten klassifiziert wurde. Gelockert bedeutet, man ist zu einer Arbeit zugelassen, auf der man nicht ständig durch einen Beamten überwacht wird. Nicht gelockert bedeutet Kolonne in einer Baumschule, zu der man in Begleitung eines Beamten der bewaffnet ist - gefahren wird. Da knechtet man dann den ganzen Tag auf dem Acker, ohne Rücksicht auf Wetter, Eignung des Gefangenen oder Gesundheitszustand.

Hier mal ein kleines Beispiel für den Geist, der hier herrscht. Da im Vollzugsgesetz ein Artikel enthalten ist, der besagt, der Gefangene ist vor Nässe und Kälte zu schützen, haben sie hier sofort für die Leute in der Kolonne gelbe Öljacken besorgt. Allerdings ist es fast unmöglich, darin zu arbeiten, weil man sich eh nicht darin bewegen kann. Kolonne bedeutet auch, zuerst mal keinen Urlaub, keinen Ausgang, bis der Psychologe anders entscheidet.

Die gelockerten Jobs sind Arbeiten beim Bauern, Betonwerk, Verzinkerei, Palettennageln. Wer das Pech hat, als Hausarbeiter eingesetzt zu werden, hat es nicht anders, als in der Geschlossenen.

Der Tagesablauf hier im Knast ist so: 5.45 Uhr Wecken, Ausrücken zur Arbeit zwischen 6.30 bis 7.00 Uhr, Rückkehr 16.30 bis 17 Uhr. Nach dem Einrücken Mittagessen; das gibt es für die Leute, da sie ja den ganzen Tag malochen, halt abends. Aufs Essen selbst brauche ich gar nicht erst einzugehen, es ist beschissen. Übrigens ist der Speiseplan für alle Außenlager gleich. Man bekommt morgens an der Ausgabe Brot, Fett und Belag, die übliche Knastwurst oder Käse und damit muß man halt bis abends auskommen. Wer sich krank meldet, bekommt nur ein einfaches Frühstück, das Arbeiteressen wird ihm sofort gestrichen.

Bei Krankmeldung heißt es, sofort Tasche packen und nach Gütersloh in die Geschlossene, weil da befindet sich die Krankenabteilung. Es sieht also so aus, wer nicht arbeitet, gilt als Verpflegungsparasit und kommt in den Bunker, was anderes ist Gütersloh nicht. Es spielt keine Rolle, ob es Grippe oder ein Arbeitsunfall ist, in jedem Fall ab in die Geschlossene. Wer das Pech hat und einen Arbeitsunfall erleidet, der ihn auf lange Sicht arbeitsunfähig sein läßt, bekommt richtig die Kelle. Er erhält den sofortigen Abschuß und wird in seine Mutteranstalt verlegt, die natürlich eine Geschlossene, wie Werl, Willich oder Bochum, Rheinbach ist. Wer keine Kohle einbringt, muß weg. Wenn es die Anstalten etwas kosten soll, reagieren sie wie die Subunternehmer. Hier mal einige Beispiele.

Eines Tages kam einer der Knackis, die im angrenzenden Betonwerk arbeiten, zu Fuß ins Lager und sagte auf die Frage des Schließers, was los sei: „Ich hatte einen Unfall und glaube, daß ich mir den Arm gebrochen habe, die in der Firma haben gesagt, ich soll ins Lager zurückgehen.“ Der Schließer sofort zu ihm: „Ja, da gehen Sie mal wieder zurück und sagen denen, sie sollen einen Krankenwagen rufen.“ Weil, der Schließer weiß ja, wer den Krankenwagen ruft, bekommt auch die Rechnung. Daß da der Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung gegeben ist, interessiert ihn einen Dreck. Übrigens, der Knacki hatte beide Arme gebrochen und bekam prompt am nächsten Tag den Abschuß.

Sicherheitsschuhe und sonstige Ausrüstungsgegenstände waren und sind hier völlig unbekannt. In einer Firma, einer Verzinkerei, wurden jetzt Schuhe mit Stahlkappen angeschafft, weil das wohl billiger war, als den Knacki bei Unfall weiterbezahlen zu müssen. Es hat aber ziemlich lange gedauert, bis die Schuhe angeschafft wurden. Sie sind übrigens auch von der Firma bezahlt worden. Gefangene, die, bevor die Schuhe da waren, darauf hinwiesen, daß sie keine Lust hätten, ihre Knochen zu riskieren, wurden mit dem Spruch „Sie wollen doch wohl keine Arbeitsverweigerung begehen“ zur Arbeit genötigt. Sicherheitsvorschriften auf den Arbeitsstellen werden regelmäßig umgangen.

Genauso wie die ärztliche Versorgung unzulänglich ist. Montags abends ist hier im Gulag Arzttag. Dieser Doc ist auch ein recht seltsamer Zeitgenosse, von Schweigepflicht scheint er überhaupt noch nichts gehört zu haben. Während der gesamten Behandlung, was man so Behandlung nennen kann, steht ein Schließer mit im Raum und spitzt die Ohren. Wenn es sich irgendwie vermeiden läßt, geht man besser gar nicht erst hin.

Hier mal eines seiner Glanzstücke. Einer der Gefangenen verletzte sich auf der Arbeit am Ellbogen. Aus der Wunde hing etwas heraus, was aussah wie ein kleiner weißer Wurm. Nachdem sich der Doc das angesehen hatte, fragte er den Schließer: „Haben wir kein Skalpell im Medizinschrank?“ Nach erfolgloser Suche hatte der Schließer dann die Eingebung, er trabte ins Büro und schleppte ein Skalpell an, mit dem die Schließer die Briefe öffnen. Das schien dem Doc dann wohl doch etwas zu extrem, also packte er den kleinen weißen Wurm einfach mit den Fingern und riß ihn aus der Wunde raus. Danach schrieb er den Knacki krank und schickte ihn am nächsten Tag nach Gütersloh. Ende vom Lied, arbeitsunfähig für mehr als eine Woche, Rückverlegung in die Geschlossene nach Remscheid.

Wenn sie dir hier Bunker aufbrummen, untersucht er dich montags abends und schreibt dich für Freitagabend arresttauglich - Arrest läuft am Wochenende, damit kein Arbeitstag verloren geht.

Von den Schließern hier ist nur zu sagen, daß alle dem Vollzug nachtrauern, der vor 1977 angesagt war. Damit dürfte alles gesagt sein. Wenn sie einem Knacki einen Gelben einen Diszi - reindrücken können, so scheint es für sie wie ein Hirnfick zu sein.

Momentan sind sie dabei und versuchen, den Urlaubsberechtigten den Weihnachtsurlaub plattzumachen. Bei einigen ist es ihnen auch schon gelungen. Sie triezen dich, solange bis du die Geduld verlierst und anfängst zu mosern. Danach steht auf dem Gelben: „Der Strafgefangene sowieso nahm dem Beamten gegenüber eine provozierende, angreifende Haltung ein.“ Und schon kannst du dir deinen Weihnachtsurlaub von der Backe wischen. Ich kann einfach nur jedem Knacki raten, sich nicht auf Oberems einzulassen.

zha

Dieser Bericht erschien auch im 'Durchblick‘, zu beziehen über Mehringhof, Gneisenaustraße 2a, 1000 Berlin 61