Asylkalkül

■ Fluggesellschaften werden zur Asylpolizei

Daß die Probleme von Asylbewerbern primär in ihren Heimatregionen gelöst werden müssen, ist die Lieblingsthese nicht nur konservativer Politiker. Wäre sie auch nur halbwegs realisierbar und annähernd ernstgemeint - die Forderung nach einer Lösung vor Ort wäre nicht schlecht. Seit geraumer Zeit demonstrieren bundesdeutsche Asylpolitiker jedoch, daß sie darunter tatsächlich nur eines verstehen: daß die Flüchtlinge aus der Dritten Welt uns vom Halse bleiben. Ein neues Asylverfahrensgesetz sorgt seit zwei Jahren dafür, daß Asylsuchende gar nicht mehr in die Bundesrepublik gelangen. Botschaftsangehörige in Colombo, die in mehr als 90 Prozent der Fälle den nötigen Visumsstempel verweigern, entscheiden fernab der Bundesrepublik über das Schicksal von politisch Verfolgten. Und Stewardessen sind längst zu Asylrichtern wider Willen geworden, wenn sie anhand der Ausweispapiere ihrer Passagiere entscheiden müssen, wer überhaupt in die Bundesrepublik reisen darf, um dort Asyl zu suchen.

Daß diese Praxis der Vorabentscheidung verfassungsrechtlich äußerst bedenklich ist, haben die Richter des hessischen Verwaltungsgerichtshofes dem Innenministerium nun überdeutlich ins Stammbuch geschrieben. Es ist nicht die erste verfassungsrechtliche Rüge, die dem geltenden Asylverfahrensrecht erteilt wurde. Doch ähnlich wie zuvor werden die Bonner Asylpolitiker auch dieses Urteil unberührt in den Schreibtischschubladen verschwinden lassen. Denn bis die Sache rechtskräftig vor dem Bundesverwaltungsgericht als letzter Instanz entschieden ist, werden Jahre vergehen, in denen - Verfassungsbruch hin oder her - mit der bisherigen Praxis weiter operiert werden kann. Denn auch wenn sich die Fluggesellschaften jetzt dagegen wehren, entweder zu Asylpolizisten zu werden oder zu zahlen - die Androhung zeigt Wirkung. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein Flüchtling unter Berufung auf drohende Geldstrafen an der Weiterreise in die Bundesrepublik gehindert wird. Daß man diesen täglichen Flüchtling hier nie sehen wird und auch seinen Namen nicht erfährt, das ist die „Lösung des Flüchtlingsproblems vor Ort“.

Vera Gaserow