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Geschäfte mit ausländischen Kindern

Alleinreisende Kinder aus Krisengebieten werden zwischen den Interessen der Bundesregierung, der Arbeiterwohlfahrt und der Jugendämter zerrieben / Geldgeschäfte vor der Abschiebung  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Der Sozialarbeiter Horst Schäfer - bis Anfang Januar noch für die Betreuung von Flüchtlingskindern in einem Heim der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Kronberg zuständig - ist vom Dienst suspendiert worden. Der Grund: Schäfer hatte beim zuständigen Amtsgericht in Königstein eine Vormundschaft für den iranischen Jungen Farhang Kaleghi beantragt und damit „in ein Wespennest gestochen“.

Bislang war es Praxis, daß das Jugendamt der Stadt Frankfurt für die auf dem Rhein-Main-Flughafen ankommenden alleinreisenden Flüchtlingskinder sogenannte „Sammelvormundschaften“ übernahm. Die Kinder aus dem Iran und aus Sri Lanka wurden nach ihrer Ankunft ausnahmslos in das „Aufnahmeheim der Gemeinnützigen Gesellschaft zum Betrieb von Sozialeinrichtungen“ in Kronberg gebracht - auch dann, wenn Verwandte der Kinder zur Abholung auf dem Flughafen warteten. Nach Angaben von Mitarbeitern der Sozialstation auf dem Rhein-Main-Flughafen treffen monatlich etwa 300 Kinder aus den Krisengebieten der Welt in Frankfurt ein und werden nach der Ankunft von Bundesgrenzschutzbeamten „erkennungsdienstlich behandelt“. Hintergrund für diese Maßnahmen ist es, für alle einreisenden Kinder Asylbewerberanträge stellen zu können, die dann - Kinder sind kaum in der Lage, ausreichende Asylgründe zu formulieren - abgelehnt werden. Nach Auffassung Frankfurter Rechtsanwälte, die sich auf Asyl- und Ausländerrecht spezialisiert haben, werde mit dieser Verfahrensweise ein von Bundesinnenminister Zimmermann (CSU) noch in der Schublade gehaltenes Gesetz bereits in der Praxis angewandt. Bislang genossen alleinreisende ausländische Kinder in der Bundesrepublik Freizügigkeit. Kinder unter 16 Jahren mußten bei der Einreise weder einen Asylantrag stellen noch ein Visum vorzeigen.

Die von den Behörden zumindest in Frankfurt praktizierte Verfahrensweise gefährde in höchstem Maße das Leben der Kinder, meinte der Sozialarbeiter Schäfer, denn im Iran gelte schon das Stellen eines Asylantrages für ein anderes Land als „Verrat an der Revolution“. Entsprechend werde dort mit aus der Bundesrepublik abgeschobenen Erwachsenen und Kindern verfahren. Daß die Zahl der alleine in die Bundesrepublik einreisenden iranischen Kinder inzwischen zurückgegangen sei, liege nicht nur am vorläufigen Ende des iranisch-irakischen Krieges. Inzwischen sei - „wohl auf Intervention der Bundesregierung“ (Schäfer) - im Iran die Ausreise von Kindern ohne Elternbegleitung verboten worden.

Sozialarbeiter Schäfer will weiter vor Gericht um die Vormundschaft für seinen iranischen Schützling streiten, in der Hoffnung, daß sein Beispiel Schule macht und die Kinder so vor der drohenden Abschiebung gerettet würden. Dem Frankfurter Jugendamt und der Arbeiterwohlfahrt hält Schäfer auch vor, mit den geflüchteten Kindern „gute Geschäfte“ gemacht zu haben. Immerhin erhält der Heimträger für zwei Tage Betreuung rund 300 Mark als „Pflegesatz“. Dem 13jährigen Farhang Kaleghi jedenfalls wurde von der Heimleitung verboten, seinen designierten Pflegevater auch nur zu besuchen. Gegen die Absicht, den Jungen in ein anderes Heim zu verlegen, hat Schäfer beim Amtsgericht in Königstein den Erlaß einer einstweiligen Verfügung beantragt. Dem Petitionsausschuß des hessischen Landtags hat er mitgeteilt, daß ihm Protokolle über eine Gremienbesprechung zwischen Stadt- und Landesjugendamt vorlägen, aus denen hervorginge, daß „man“ das Amtsgericht in Königstein dahingehend beeinflussen wolle, keine Einzelvormundschaften zuzulassen. Über das inzwischen für den iranischen Jungen eingeleitete Aslyverfahren wurde der Betroffene bis heute nicht informiert. Schäfer: „Der Stand des Verfahrens oder etwa in Zirndorf vorgebrachte Gründe bleiben das Geheimnis der Jugendamtspflegerin Bechthold, die nach eigenem Bekunden noch 400 andere Fälle betreut.“

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