Honecker macht's möglich

■ Die DDR folgt dem großen Bruder mit einer einseitigen Abrüstungsinitiative / Die Nato bleibt Schlußlicht

Auch die Nationale Volksarmee der DDR hat Nachwuchsschwierigkeiten - wie die Bundeswehr. Doch statt wie Bonn - den Wehrdienst zu verlängern, zieht die DDR -Führung mit Gorbatschows Abrüstungsinitiativen gleich. Die christlichen Kirchen der DDR haben derweil ein Papier zu Wehrdienst und Verweigerung vorgelegt, das ganz andere Forderungen erhebt (siehe Dokumentation).

Die Aktuelle Kamera, Tagesschau des DDR-Fernsehens, kam gemächlich auf den Punkt. Zunächst defilierte Erich Honecker, frisch wie lange nicht gesehen, mit Schwedens Ministerpräsident Ingvar Carlsson an einer Ehrenformation der Volksarmee vorbei, demonstrierte Stärke und Souveranität. Nach zwölf Minuten belanglosen Tagesprogramms wurde beim Dinner das schwere Geschütz aufgefahren: Preußens Armee rüstet ab! Das Vorbild Sowjetunion, ausnahmsweise gern kopiert, hatte am 19.Januar den ersten Schritt getan. In den nächsten zwei Jahren sollen die sowjetischen Streitkräfte um zwölf Prozent, der Militärhaushalt um 14,2 und die Rüstungsproduktion um 19,5 Prozent verringert werden, verkündete Michail Gorbatschow. Im sozialistischen Ausland stationierte Truppenteile mit „Angriffs-charakter“ würden ebenfalls abgezogen. Die Einheiten sollten ausschließlich Verteidigungscharakter erhalten.

Die erste praktische Maßnahme wurde nun gestern von Erich Honecker verkündet - noch bevor dieser ankündigte, daß auch die DDR 10.000 Soldaten entlassen will. Die Rote Armee will bis Ende 1990 vier Panzerdivisionen aus der DDR abziehen (sechs solcher Divisionen insgesamt aus Ostblockländern abzuziehen, hatte Gorbatschow im Dezember vor der UNO versprochen). Darüber hinaus werden drei Panzerausbildungsregimenter, 11 Bataillone, die Luftsturmbrigade und zwei weitere Ausbildungsregimenter abgezogen.

Ein für die Glaubwürdigkeit von Gorbatschows Perestroika elementarer Schritt, urteilen Beobachter in der DDR. Denn überall dort, wo sowjetische Truppen stehen, ist der Unmut in der Bevölkerung groß. Der Fluglärm dauert oft bis Mitternacht, Panzerübungen laufen ohne Pause. „Dem Friedensgerede trauen wir erst, wenn wirklich Truppen abgezogen werden“, ist durchgängige Meinung in der DDR. Und Diplomaten der sowjetischen Botschaft in Ost-Berlin wußten schon vor Jahresfrist zu scherzen: „Wenn unsere Panzer aus der DDR gehen, kommt die Perestroika erst richtig ins Rollen - weil sie glaubwürdiger wird.“

Den Showeffekt hat nun Honecker Gorbatschow genommen, indem er selbst eine Zugabe präsentierte, die zwar die Nationale Volksarmee (NVA) nur um sechs Prozent reduziert, sich im Vergleich zum sturen Bonner Festhalten an einer Truppenstärke, die im kalten Krieg Maxime wurde, sehen lassen kann. „Einseitig“ wolle er abrüsten, verkündete Honecker, 10.000 von 175.000 Volksarmisten heim zu Muttern lassen, sechs Panzerregimenter auflösen, 600 von 6.500 Panzern verschrotten, ein Fliegergeschwader auflösen und 50 von geschätzten 360 Kampfflugzeugen außer Dienst stellen.

Der Sozialismus bleibt dennoch wehrhaft: Personell stehen neben der NVA auch die Grenztruppen mit 48.000 Mann und die Betriebskampfgruppen mit 500.000 Helfern bereit, im Notfall die Mauer zu verteidigen. Auf über eine Million wird die Gesamtkampfstärke aller verfügbaren Kräfte geschätzt. Verblüffend, daß auch Honecker ankündigt, die NVA „noch strikter“ nach Verteidungsmaßstäben „umzugestalten“ - ist sie doch nicht so recht defensiv gewesen?

Personal zu reduzieren ist den Militärs der DDR allerdings nicht so ganz schwer gefallen, denn auch dort hat die Armee Nachwuchssorgen. Freiwillig länger dienen wollen wenige, Lehrer sind an Schulen dazu angehalten, dafür zu werben. Honecker krönte seine Friedensbotschaft mit der Nachricht, seinen Militärhaushalt um 10 Prozent zu reduzieren, er liegt 1989 offiziell bei 16,2 Milliarden DDR-Mark.

Das Budget ist zuletzt jährlich um etwa fünf Prozent gestiegen. Und Geld fehlt der DDR in rauhen Mengen. Allein 49,8 Milliarden Mark kostet die Subventionierung der Verbraucherpreise, Tarife und Dienstleistungen für die Bevölkerung, so steht es im neuen Haushaltsplan.

Nun hat Honecker aus der Not eine Tugend gemacht und dazu noch Gorbatschow und Rupert Scholz die Schau gestohlen. Spätestens seit dem 17.Dezember hat er für seine Sparmaßnahmen grünes Licht. An diesem Tag trafen sich die Verteidigungsminister des Warschauer Pakts in Sofia, um „Angaben zum allgemeinen Kräfteverhältnis sowie zur zahlenmäßigen Stärke bei den Hauptarten der Bewaffnung zwischen den Teilnehmerstaaten des Warschauer Pakts und der Nato“ zu erörtern und zu verabschieden. Für Abrüstungsmaßnahmen, so hieß es damals, werde vom Westen eine „adäquate Antwort“ erwartet. Die steht jetzt an - und nicht erst im März, wenn in Wien über die Reduzierung konventioneller Streitkräfte gerungen wird. Honecker hat abgewartet, bis Rupert Scholz seine Milchmädchenrechnung in Bonn durchsetzte, man müsse den Wehrdienst verlängern obwohl bis weit in die 90er Jahre mehr als genug Rekruten anstehen. „Die positive Aufkommensentwicklung seit 1985/86 hat die Reichweite der Bedarfsdeckung im Grundwehrdienst um einige Jahre erweitert“, gab selbst die Bundeswehr in eigenen Papieren zu, eierte aber dennoch auf ihrer Argumentation herum, jetzt dringend die Wehrdienstverlängerung festzuschreiben.

Dies macht es der DDR einfach, uns nach wie vor als kalte Krieger und Aggressoren zu sehen. Genüßlich hat das 'Neue Deutschland‘ am 18.Januar ein Interview mit dem Sowjet -Marshall Sergej Achromejew abgedruckt. Sein Titel: „Die Kriegsgefahr ist noch nicht gebannt“. Achromejew: „Wir vergessen die Friedensbedrohung seitens des imperialistischen Militarismus nicht und sind der Ansicht, daß es bislang noch keine Garantien für die Unumkehrbarkeit der eingeleiteten positiven Prozesse gibt.“ Die 'Volksarmee‘, eine Wochenzeitung für DDR-Soldaten, liefert regelmäßig spitze Bemerkungen über den Rüstungswahn im Westen und merkwürdige Nato-Strategien.

Bleiben also wir die kalten Krieger? Ganz so leicht wird Honecker nicht argumentieren können. Denn sein „Mutmachen“ in Abrüstungsschritten nach außen will als Signal auch nach innen verstanden sein. Der Ostberliner Pfarrer Rainer Eppelmann, eine Vaterfigur der DDR-Friedensbewegung, betonte dies gestern gegenüber der taz. Das „Mutmachen wartet auf die Nachahmung der anderen“ - gemeint sind Nato und Bundeswehr. „Vertrauensbildende Maßnahmen nach innen sind jetzt genauso wünschenswert, gerade vor dem Hintergrund der KSZE-Erklärung von Wien.“ Dort ging es schließlich auch noch um inneren Frieden.

Holger Eckermann