Bonn mauert nach Honecker-Initiative

■ Bundesregierung fordert weitere Abrüstungsvorleistungen des Warschauer Pakts / SPD und Grüne: Jetzt ist die Nato am Zuge / Bahr: Sonst wächst Widerstand in der Bevölkerung / Kohl beschränkt sich auf aufmunterndes „Weiter so“ / Siehe auch Tagesthema Seite 3

Bonn (ap/dpa/taz) - Allseitig wurde gestern in Bonn die 10prozentige Kürzung des DDR-Wehretats begrüßt, die Staats und Parteichef Erich Honecker tags zuvor „einseitig“ angekündigt hatte. Doch da endete auch schon die Bonner Harmonie. Während Regierung und Koalitionsabgeordnete unisono weitere Vorleistungen des Warschauer Paktes forderten, meinten SPD und Grüne, jetzt sei Bonn mit der Abrüstung am Zuge.

Der SPD-Abrüstungsexperte Egon Bahr ging in einem taz -Interview (Seite 3) davon aus, daß Überraschungsangriffe der DDR bald nicht mehr möglich seien, und forderte die Bundesregierung auf, ihr Verteidigungskonzept zu überdenken. Wenn sie dagegen weitermache wie bisher - mit Verlängerung des Wehrdienstes und Raketenmodernisierung - „dann wird sie es zunehmend mit Widerstand aus der Bevölkerung oder Unverständnis zu tun bekommen“, warnte Bahr. Und sein Parteivorsitzender Vogel warf der Regierung vor, sie versteife sich als Antwort auf östliche Initiativen auf „konterproduktive Maßnahmen“.

Die Grünen im Bundestag kritisierten, die Bundesregierung habe sich bisher schon gegenüber Gorbatschows Verschrottungsplänen „passiv verhalten“, und forderte sie auf, auf Honeckers Ankündigung „schleunigst mit eigenen einseitigen Abrüstungsschritten zu antworten“. Doch Kohl und seine Mannen mauern und beschränken sich auf ein aufmunterndes „Weiter so“. Der Kanzler ließ seinen Sprecher Friedhelm Ost mitteilen, Honeckers Schritte gingen in die richtige Richtung, um zu einem Abbau der „nach wie vor großen konventionellen Überlegenheit des Warschauer Pakts zu kommen“. Die DDR-Führung solle prüfen, inwieweit sie bereit sei, ihre Truppenreduzierungen einer Überprüfung durch den Westen zu unterwerfen, wie das in Moskau bereits für die vergleichbaren sowjetischen Maßnahmen diskutiert werde.

Auch Bundesverteidigungsminister Scholz sieht weiterhin den Warschauer Pakt bei den konventionellen Waffen überlegen und will die Fortsetzung Seite 2

Tagesthema Seite 3

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Verlängerung des Wehrdienstes nicht noch einmal überdenken. Auf den Punkt brachte es schließlich der jetzige Nato -Generalsekretär Manfred Wörner. Der sagte: Er gönne dem Kreml-Chef die Schlagzeilen, solange „er sie damit verdient, daß er auf Verhandlungsziele der Nato eingeht und Ideen des Westens aufgreift“.

Selbst der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Alfred Biehle (CSU), der vor kurzem noch vergeblich - versucht hatte, die Verlängerung des Wehrdienstes auszusetzen, wollte in einem taz-Interview (siehe Seite 3) über eine Reduzierung der Friedensstärke der Bundeswehr nur

„nachdenken“.

Warum offenbar die gesamte CDU/CSU auf Mauern eingeschworen wurde, ließ ihrer stellvertretender Vorsitzender Volker Rühe durchblicken: Einseitige Maßnahmen des Westens, so Rühe, würden die Wiener Verhandlungen über konventionelle Abrüstung erschweren, die am 6.März in Wien beginnen sollen, weil dann „die Schere des Ungleichgewichts wieder auseinandergehen“ würde.

mr