Selbstverschuldete Aufklärung

■ Literarische Woche - 1. Podium: selbstgerechte Larmoyanz der PächterInnen der Aufklärung

Das war gut. Die drei SchriftstellerInnen, die sich der Aufklärung verpflichtet fühlten, lasen aus eigenen Texten, ehe sie zum gemeinsamen Thema fanden, das übrigens das Thema des Abends „200 Jahre später - ist die literarische Aufklärung gescheitert?„ souverän außer acht ließ. Denn außer Max von der Grün, dessen vielgelesenes „Stellenweise Glatteis“ schon 1975 erschienen ist, hatte von von den 70 ZuhörerInnen wohl kaum jemand etwas von Angelika Mechtel und Uwe Friesel gelesen, ähnlich wie Moderator Heiner Boehnke, bei dem Angelika Mechtel nahezu jede Aufklärung über ihre Bücher korrigieren mußte.

So las denn Max von der Grün eine nette, humorige Geschichte, wie einer aus Franken, wie von der Grün selber, ins Revier kommt und sich auf die Zeche Königsborn bei Unna vermitteln läßt, weil er von Unna schon mal bei Heinrich Heine gehört hat. Angelika Mechtel las zwei kurze Texte aus „Das Mädchen und der Pinguin“ , wo der analytische Clou z.B darin liegt, daß das Vorgehen von 700 Polizisten gegen 25 Umweltschützer in Köln satirischer ist, als eine Satire sich ausdenken könnte. Uwe Friesel las aus den Reflexionen des Studienrates Rüdiger Diekmann über seinen Vater, einen Bilderbuchspießer aus den 50ern. Akku-Rudi fährt mit seinem angebetetem Vauweh, na klar!, zu den von ihm verachteten typisch! - Spaghettifressern. Aufarbeitende Fragestellung Friesels laut Friesel: Wieso machen die 68-er die gleichen Fehler wie ihre Väter?

Nach einem kurzen Jubel Friesels über die nie gekannte Verkaufskraft seiner vier deutschen Kriminalromane „kannnichklagenkannnichjammern-findichgut“ - fand sich dann sehr schnell doch der Jammer als Generalnenner. Heiner Boenke hatte gefragt, was sich dadurch verändert habe, daß man nicht mehr in einem breiten Strom aufklärerischer Literatur schwimme und die Selbstinszenierung der Vernunft sich so gewandelt habe, daß

in den Pariser Cafes die Intelligenz darüber diskutiere, ob Auschwitz beweisbar sei, wenn es dafür keine Zeugen gäbe.

Daraufhin beklagte Angelika Mechtel bestätigend die „Verwüstung der Vernunft, vor allem in der Mittelschicht“, das Schwinden der anspruchsvollen Verlagsprogramme, das Schrumpfen des Leserpublikums, - ihres allerdings nicht so, weil es immer klein gewesen sei - und das Los von jungen Autoren. Von der Grün beklagte das Schwinden der Wortsendungen aus „dem letzen liberalen Sender“, dem WDR, das Los eines 60-jährigen Autors, der sich auf einmal einem 30-jährigen Verlagslektor gegenübersieht, „der gesellschaftspolitisch eine totale Null“ ist und außerdem nur Manuskripte annehmen darf, die eine Auflage über 8000 Exemplaren verspricht; Uwe Friesel beklagte, daß die Tageszeitungen keine Gedichte mehr drucken und die Rundfunkhörspiele so schrumpfen, daß er nur noch 10 statt wie früher 70 % seines Verdienstes vom Funk bekommt.

Der Saal gähnte und/oder hatte den Saal verlassen, da sagte kurz vor halb elf das Publikum, was es von dieser Aufklärungsversammlung hielt. Als erster fand der Germanist Dieter Richter das gehörte „Lamento ziemlich grauslich“, fragte, ob eine Literatur wie die Max von der Grüns nicht auch deshalb weniger relevant geworden sei, „weil die Aufklärung weitergekommen“ und nach anderen Schreibweisen zu suchen sei. (Friesel erkannte messerscharf auf „Realismusgegner“, dessen „Art von Wegwerfbewußtsein“ ihm abginge.) Half ihm nichts. Das hier für Aufklärung ausgegebene, faßte ein anderer Unzufriedener nicht nur seinen Eindruck zusammen, hätte ihn nicht zum Lesen der zugehörigen Bücher animiert. Im Unterschied zur literarischen Aufklärung (hallo Thema!) sei es auch nicht ein bißchen spannend gewesen. Hätte er dafür Peter Strohm im Fernsehen verpaßt, hätte ihm der Abend in den Weserterrassen leid getan.

Uta Stolle