WO LIEGT PORTUGAL?

■ Der neue portugiesische Film im Arsenal

„Ich würde weder Portugal noch unsere Art, Filme zu machen, gegen etwas anderes austauschen wollen.“ - Dieser Ausspruch des portugiesischen Filmemachers Joao Botelho deutet auf die zwei wesentlichen Kennzeichen des portugiesischen Films: Er konzentriert sich auf portugiesische Themen und er hat seine eigenen und oft eigenwilligen Stilmittel entwickelt.

Portugal ist oft als eine Insel bezeichnet worden. Die Hälfte seiner Küsten liegt im Atlantik, die andere in den Bergen und Ebenen nach Spanien hin. Nächstes Land ist im Bewußtsein der Portugiesen Frankreich, nicht Spanien. Das Leben auf einer Insel hat auch ein Insel-Kino hervorgebracht mit all seinen Abweichungen von den international genormten Sehgewohnheiten, seinen stilistischen Ecken und Kanten, seinen thematischen Besonderheiten.

Portugiesische Firmen beschreiben das auf uns historisch fern wirkende Leben von Bauern und Fischern und die Folgen ihrer Emigration in die Großstadt oder ins Ausland. Sie behandeln den die portugiesischen Geister seit je faszinierenden Gegensatz zwischen Stadt- und Landleben, der ein Reflex der Hauptstadt- und Provinzstruktur Portugals und des großen Vorbilds Frankreichs ist, und sie verfolgen den Niedergang der bürgerlichen Lebensform auf dem Lande. Sie setzen sich mit dem Zwiespalt zwischen einstiger nationaler Größe und heutiger Bedeutungslosigkeit, verbunden mit der Hoffnung auf eine plötzliche wunderbare Erlösung von aller Misere, auseinander - auch dies ein Dauermotiv der portugiesischen Kunst. Erst neurdings werden das letzte große Trauma, der Kolonialkrieg, den die Revolution von 1074 beendete, und die auf die revolutionäre Begeisterung folgende Enttäuschung reflektiert.

Die Grundthemen tauchen in den Filmen in verschiedensten Verbindungen und mit unterschiedlichen Schwerpunkten auf. Heiterkeit kann da kaum jemals entstehen, alle diese Werke sind von Trauer über das Mißlungene, das Verlorene und das nicht Erreichbare überschattet. Einen Wandel - nicht in der Grundstimmung, aber in den Themen - zeigen die Filme der neuesten Generation von Filmautoren, die nach 1950 geboren sind (Pinto, Goncalves, Canijo, Grilo). Sie haben sich individuellen, lebensgeschichtlichen Themen zugewandt. Immer wieder werden diese Werke mit denen Eric Rohmers verglichen.

Die Handhabung portugiesischer Filme entwickelt sich langsam, in langen Einstellungen. Ganz in der Tradition des Theaters geht es um das einzelne Bild, das der Zuschauer um so intensiver aufnimmt. Die Filmer vermeiden jeden Versuch, durch eine Folge gezielter, schneller Reize zu faszinieren. Faszinierend ist es dagegen zu erleben, wie Filme aussehen können, die nicht als Publikumsattraktion gestaltet wurden. Die Ästhetik des portugiesischen Films ist auch eine trotzige Verweigerung des unter kommerziellen Gesichtspunkten hervorgebrachten Stils.

Die portugiesischen Filme hatten gegen die ausländische Konkurrenz mit ihren ausgetüftelten Stereotypen nie eine Chance. Bei den drei US-Verleihern, die den portugiesischen Markt beherrschen, waren sie ohnehin von vorneherein abgeschrieben. Unter den zehn Millionen Portugiesen finden sich zu wenige, die sich der internationalen Geschmacksnorm entziehen wollten. Portugiesische Filme können ihre Produktionskosten nicht einspielen. Deshalb werden sie vom Staat finanziert. Das wiederum hat dazu geführt, daß die Hersteller ohne Berücksichtigung der Vermarktungsmöglichkeiten arbeiten. Da sich die Produktion von Filmen ohnehin nicht amortisiert, verzichten die Filmemacher gleich ganz darauf, nach dem allgemeinen Publikum zu schielen. Viele ihrer Werke sind nur auf Festivals zu sehen. Die Filmemacher haben die Freiheit derjenigen, die nichts zu verlieren haben. Sie leben von anderen Beschäftigungen, etwa beim Fernsehen. So kommt der portugiesische Film nie aus seiner wirtschaftlichen Misere heraus, erfreut die Filmliebhaber aber mit ganz besonderen Werken dieser Kunstgattung.

Von der Initiative Kommunales Kino in Hamburg ist eine Auswahl zeitgenössischer portugiesischer Filme organisiert worden, die im Arsenal gezeigt wird. Nicht aufgenommen wurden dabei Werke von Manoel de Oliveira, der bei uns noch relativ bekannt ist, ebenso verzichtete man auf die revolutionären Aufklärungsfilme der siebziger Jahre. Bedauerlich, wenigstens ein Beispiel hätte diese Phase veranschaulichen können.

Horst Hüncker

Termine siehe La Vie