Mann mit Eigenschaften

■ Nach knapp drei Jahren Amtszeit fällt die Bilanz von Wissenschaftssenator Turner mager aus / Autoritärer Führungsstil ersetzt hochschulpolitisches Konzept / Peinliche Eingriffe in die Hochschulautonomie und Abbau von Mitbestimmungsrechten

Er ist und bleibt ein Mann ohne Ideen. Als die seiner Obhut anvertrauten StudentInnen Anfang Dezember revoltieren, versteift sich der Verwalter von Wissenschaft und Forschung in dieser Stadt zunächst aufs Schweigen. Auch vier Wochen später hat er inhaltlich nichts anzubieten: „Ich wehre mich dagegen, sozusagen aus der Hüfte zu sagen, was jetzt richtig wäre.“ Im Januar ist ihm dann etwas eingefallen: Er befürwortet den Einsatz der grün-weißen Knüppelgarde gegen die StudentInnen der besetzten FU-Physiologie. Zufrieden, endlich eine Linie gefunden zu haben, wird er vom rechten FU -Präsidenten Heckelmann jedoch bald an der liberalen Flanke überholt. Mit dem Abgang der Polizei und der Verhandlungsinitiative einer interfraktionellen Professorengruppe bleibt Wissenschaftssenator Turner wieder einmal als ein Mann ohne Konzept zurück.

Doch mitnichten hat sich George Turner in seinen knappen drei Amtsjahren auch als ein Mann ohne Eigenschaften erwiesen. Die Karriere des 53jährigen gebürtigen Ostpreußen kennt keine Brüche. Vor seiner Erennung zum Berliner Wissenschaftssenator im April 1986 war Turner 16 Jahre lang Präsident der Universität Stuttgart-Hohenheim und von 1976 bis 1983 zunächst Vizepräsident und später Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz. Und das, obwohl sein wissenschaftliches Resümee äußerst dünn ist. Turners Dissertation über „Das Calenberger Meierrecht“ beispielsweise bewertete Jura-Professor Wesel von der FU einst „als eine bessere Schülerarbeit“. Und die Technische Berghochschule in Clausthal, an der Turner seinen Professorentitel für Rechtswissenschaften erwarb, verfügt nicht einmal über eine juristische Fakultät. Hinter Turners gutem Vorankommen kann man seine Mitgliedschaft in der schlagenden Verbindung 'Frisia‘ vermuten, der auch sein Doktorvater, Alt-Nazi Wilhelm Ebel, angehört.

Vom Umgang mit Untergebenen

Turners Eingriffe in die Berliner Hochschulpolitik beschränken sich oft auf unschöne Ausfälle gegenüber seinen Untergebenen: Weil er sachliche Kritik nicht ertragen kann, ist er dafür berühmt geworden, jedes kritische Wort aus den Universitäten oder seiner eigenen Senatsverwaltung rüde abzukanzeln. Ein Vorfall unter vielen: Der langjährige FU -Kanzler Detlef Borrmann mußte sich 1987 von Turner in einer Dienstbesprechung zwischen dem Senator und der FU-Spitze des Raumes verweisen lassen, weil er sich gegen Turners barschen Ton verwahrt hatte. Statt sich zu entschuldigen, forderte Turner von FU-Präsident Heckelmann zukünftig, „so unfähige“ Beamte nicht mehr mitzubringen. Borrmann stellte daraufhin Strafantrag wegen Beleidigung. Oder: Am 26.Juni 1987 forderte Turner im Brüllton das Gesamtpersonalratsmitglied Hinkel bei einer Sitzung des FU-Kuratoriums auf, sich vom Tisch des Geschehens zu entfernen, da dieser, obwohl vom Akademischen Senat als Vertreter der sonstigen Mitarbeiter gewählt, wegen seiner gleichzeitigen Mitgliedschaft zum Gesamtpersonalrat kein Rederecht habe. Hinkel setzte sich zurück, doch wohl nicht weit genug. Als er sich weigerte, 30 Zentimeter zurückzurutschen, brach Turner die Sitzung ab. Für die kommende Sitzung wurde ein Begrenzungsseil gespannt.

Die eigentliche inhaltliche Arbeit seines Ressorts hat Turner von Beginn an an die sogenannte KEKS-Gruppe delegiert und dieser damit eine übergroße Machtstellung innerhalb der Wissenschaftsverwaltung eingeräumt. Die Gruppe aus den leitenden Beamten Kempa, Eckey, Kleber und Strehl war bereits unter Amtsvorgänger Kewenig formiert, doch von diesem noch in Schach gehalten worden. Mit gezielten Beförderungen und Degradierungen von leitenden Beamten - die SPD-Betriebsgruppe an der FU berichtet in einer Dokumentation von mindestens elf Umsetzungen bis 1987 - hat Turner eine „tiefe Loyalitätskrise“ unter seinen Mitarbeitern hervorgerufen. Ein Mitarbeiter: „Senator Kewenig hat zwar die Weichen für Kempa gestellt, er hielt aber noch auf Distanz, es herrschte ein intellektuelles Klima. Jeder gute Vorschlag war willkommen. Das hat sich unter Turner radikal geändert. Turner, der selbst ein Bürokrat aus Temperament ist und dessen intellektuelle Höhenflüge sich überwiegend auf die äußere Form, die Sortierung der Akten und Anlagen beschränken, hat in Kempa sein Pendant gefunden. So konzentrieren wir uns auf die Aktenordnung, versuchen, nicht aufzufallen, und warten auf Anweisungen, die mit neuen farbigen Formularen auf den Dienstweg gegeben werden.“

Wer in der Hochschulpolitik des George Turner nach eigenen Ideen des Senators sucht, um den von ihm selbst beklagten „Ausbildungsnotstand“ an den Unis zu beheben, wird bei allem Fleiß kaum fündig werden. Sämtliche Maßnahmen seiner Hochschulpolitik wie gemeinsam mit der Wirtschaft betriebene Gründungen von Privat- und An-Instituten, Stellenstreichungen und den Abbau von Mitbestimmungsrechten gehen auf Kewenig und die KEKS-Runde zurück. Die Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes ließ er passieren, ohne dem Gesetzeswerk aus den Schubladen seines Vorgängers einen eigenen Stempel aufzudrücken. Mit einem Kniefall vor seinem in der Senatshierarchie aufgerückten Senatskollegen begründete er dies preußisch knapp: „Wenn man in ein Amt kommt, hat man zur Kenntnis zu nehmen, was vorliegt, und ich übernehme, was mir vorgelegt wurde.“ Allenfalls mit seinem Engagement für eine Verkürzung der Studienzeiten ist Turner programmatsich aufgefallen. Erreicht hat er diesbezüglich während seiner Amtszeit jedoch nichts.

Virtuos beherrscht Turner das, was man gemeinhin als „Radfahrersyndrom“ bezeichnet: Nach unten treten, nach oben buckeln. Häufig nimmt er es hin, daß Senatorenkollegen in sein Ressort eingreifen: Die Auslagerung wissenschaftlicher Einrichtungen in Privat- oder An-Institute - insgesamt sind über 20 davon bereits errichtet oder geplant - wurde vom Berliner Senat teilweise ohne Beteiligung des Wissenschaftssenators betrieben. So liegt die Federführung für die Errichtung der Dependance der privaten New Yorker Architekturhochschule „Cooper Union“ in Berlin bei Bausenator Wittwer, der auch den Daumen auf die Finanzen hält (zehn Millionen Zuschuß in den ersten fünf Jahren). Das Internationale Institut für Finanzdiensleistungen (IIF) wurde auf Initiative und mit Mitteln von Finanzsenator Rexrodt aus der Taufe gehoben. So viel Spielraum er nach oben gewährt, um so abhängiger möchte er seine Universitätspräsidenten halten. Die Ungeschicklichkeit des TU-Präsidenten Fricke im sogenannten TU-Bau-Skandal im letzten Sommer nutzte Turner, um über die Bauaufsicht einen noch stärkeren Zugriff auf die Universität, nicht zuletzt auf Berufungen, zu bekommen.

Das viele Geld, das die Flut von Institutsgründungen verschlingt, fehlt wiederum an anderer Stelle. An der FU sind laut Kanzler Detlef Borrmann seit 1986 über 100 Stellen wissenschaftlicher und 180 nicht-wissenschaftlicher MitarbeiterInnen gestrichen worden. Gleichzeitig stieg die Zahl der Studenten um etwa neun Prozent. Ähnlich sieht es an der TU aus. Als der StudentInnen-Streik im Dezember bereits auf Hochtouren lief, verlangte Turner noch von der TU und FU, 150 Stellen zu streichen, wodurch sich Einsparungen in Höhe von neun Millionen Mark errechnen. Diese Summe, darauf macht der ehemalige TU-Vizepräsident Udo Simon aufmerksam, entspricht genau dem Jahresetat der 1987 gegründeten und umstrittenen Akademie der Wissenschaften.

Mitbestimmung ist für Turner ein Fremdwort. Denn der im aktuellen Streik beklagte Abbau von Mitbestimmungsrechten aller Nicht-Professoren ist Ergebnis der von Turner vollzogenen Nivellierung des Berliner Hochschulgesetzes. Bis heute hält er daran fest. „Mit der Erhöhung von Mandatsträgern hat man in den letzten zwanzig Jahren nie Universitätspobleme gelöst.“ Im übrigen verweist Turner stets auf die durch das Hochschulrahmengesetz und das Bundesverfassungsgericht gesetzten Grenzen der Mitbestimmung, verschweigt dabei aber, daß das BerlHG diese besonders restriktiv ausgelegt hat. So ist zum Beispiel keineswegs zwingend, daß StudentInnen, Mittelbau und sonstige Mitarbeiter in den Direktorien kein Stimmrecht mehr haben.

Gerne hervorgetreten ist der Wissenschaftssenator immer dann, wenn es galt, sich in die Autonomie der Hochschulen einzumischen. Hiervon zeugen vor allem seine Eingriffe in zahlreiche Berufungsverfahren. Gleich dreifach peinlich war sein Verhalten im Fall einer Vertretungsprofessur am Otto -Suhr-Institut der FU. Gegen das Votum des Fachbereichs berief er den Dritt- und Letztplazierten der Berufungsliste, Bernd Guggenberger, anstelle von Margit Mayer. Entgegen der üblichen Praxis entschied sich Turner damit für einen nicht habilitierten Bewerber und mißachtete seinen eigenen Vorsatz, Frauen bei gleicher Qualifikation vorrangig einzustellen. Auch im Fall des renommierten Faschismusforschers Wolfgang Wippermann setzte sich Turner bedenkenlos über das Votum des Fachbereichs Geschichte der FU hinweg.

An der FHW verhinderte Turner zwei Jahre lang rechtswidrig die Berufung von Karl Inderfurth auf eine C-2-Professur für „Betriebliches Rechnungswesen“. Turners Kalkül dabei war, die FHW so zu veranlassen, die im Februar 1987 verabschiedete Prüfungsordnung nach seinem Geschmack zu verändern. Das Ende der Affäre: Das Oberverwaltungsgericht untersagte Turner Anfang 1988 die rechtswidrige Verschleppung der Berufung. Doch inzwischen war es zu spät. Inderfurth hatte einen Ruf an die Uni Bielfeld angenommen.

Nicht so sehr, daß von ihm keinerlei inhaltliche Anstöße kommen, nimmt man ihm an den Unis übel. Vor allen seine völlige Unfähigkeit zum Dialog und sein autoritäres Gehabe stoßen in den Hochschulen auf entschiedene Ablehnung. Einer Ablösung Turners nach den Wahlen würde, wie aus informierten Kreisen zu hören ist, zumindest die gesamte Spitze der TU keine Träne hinterherweinen. Oder um es mit den Worten des renommierten Philosophieprofessors der FU, Ernst Tugendhat, auszudrücken: „Man muß wissen, daß Turner eine Null ist.“

Thomas Werres / Thomas Lecher