USA: Aufwind für die Lebenschützer

■ Präsident Bush sagte AbtreibungsgegnerInnen Unterstützung zu / Können Bundesländer künftig die Gesetzgebung verschärfen? / Mit Spannung wird Entscheidung des Obersten Gerichtshofes erwartet

Dank sonnigem Frühlingswetter und günstigem politischen Klima versammelte sich am Montag in Washington eine Rekordzahl von 60.000 US-amerikanischen AbtreibungsgegnerInnen zu ihrer Jahreskundgebung. Protestkundgebungen finden jährlich am 22.Januar statt, dem Tag, an dem der Oberste Gerichtshof vor 16 Jahren seine Grundsatzentscheidung für die legale Abtreibung fällte. Niemals jedoch seit 1973 demonstrierten so viele AbtreibungsgegnerInnen vor dem Weißen Haus, und niemals waren ihre Aussichten rosiger als zum jetzigen Zeitpunkt.

Präsident Bush nahm sich an seinem ersten Arbeitstag im Weißen Haus Zeit, die Demonstranten per Telefonschaltung zu begrüßen und ihnen seine Unterstützung zuzusichern. Er wiederholte seine Wahlkampfparole, daß Abtreibungsfreiheit falsch sei, und unerwünschte Kinder zur Adoption freigegeben werden sollten. Mit George Bush sitzt allerdings nicht erst seit Montag ein Gegner der Abtreibungsfreiheit im Weißen Haus. Auch Vorgänger Ronald Reagan hatte es sich zur Aufgabe gemacht, dem legalisierten Schwangerschaftsabbruch ein Ende zu setzen: in seiner Amtszeit konnte er zwei neue, ihm genehme Richter für den Obersten Gerichtshof benennen. Die veränderten Mehrheitsverhältnisse können dazu führen, daß das Gericht seine bislang eindeutige Haltung für das Recht auf Abtreibung aufgibt.

Denn seit der Gerichtshof 1973 im Fall „Roe gegen Wade“ bestimmte, daß die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch zum Privatrecht jeder Frau gehört, hat er nur geringfügige Einschränkungen dieser Freiheit durch die Bundesstaaten zugelassen. Abtreibungen, so die Entscheidung von 1973, sind in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft ohne Einschränkung erlaubt, und dürfen in den folgenden drei Monaten nur reguliert werden, um die Gesundheit der Schwangeren zu schützen.

Immer wieder versuchten Bundesstaaten, die Abtreibungsfreiheit einzuschränken, doch in fast allen Fällen lehnte der Gerichtshof diese Versuche als verfassungswidrig ab. So wurden Gesetze abgelehnt, die vor einer Abtreibung die Einwilligung des Ehemannes oder - bei Minderjährigen - der Eltern forderten. Bestimmungen, die Abtreibungen nach dem ersten Trimester nur im Krankenhaus zulassen wollten oder eine Wartezeit von 24 Stunden zwischen der Zustimmung zur Abtreibung und der Durchführung des Abbruchs vorsahen, mußten ebenso zurückgenommen werden wie die Auflage, Schwangeren bei der Beratung nahezulegen, „das ungeborene Kind sei vom Zeitpunkt der Empfängnis an menschliches Leben“. Die letzte Entscheidung zugunsten des Abtreibungsrechts fiel 1986. Seitdem haben sich jedoch dank Reagan die Mehrheitsverhältnisse geändert und, so Eve Paul von der Organisation „Planned Parenthood“, „keiner weiß, wie das Gericht entscheiden wird“.

„Planned Parenthood“ setzt sich für Familienplanung und Abtreibungsfreiheit ein. Abtreibungsgegner jedoch sind optimistisch. „Sogar wenn der Gerichtshof sich nicht für die direkte Umkehr der Entscheidung von 1973 entschließt“, so Douglas Johnson von der Organisation der Abtreibungsgegner „Right to Life“, „so kann er doch die Abtreibungsfreiheit erheblich einschränken.“

Bestimmend für die Zukunft des legalisierten Schwangerschaftsabbruchs in den USA wird eine im Juni dieses Jahres anfallende Entscheidung des Gerichtshofs sein. Dann bestimmt das durch die Reagan-Männer bereicherte Gericht über die Rechtmäßigkeit von Einschränkungen der Abtreibungsfreiheit, die vom Staat Missouri erlassen wurden.

Das 1986 in Missouri verabschiedete Gesetz verbietet die Durchführung von Abtreibungen in öffentlichen Krankenhäusern, erlaubt keine Verwendung von Steuergeldern für Schwangerschaftsberatungen, bei denen die Möglichkeit einer Abtreibung diskutiert wird, und fordert, daß nach der 19. Schwangerschaftswoche untersucht wird, ob der Fötus außerhalb des Mutterleibs überlebensfähig ist.

Der Gerichtshof kann diese Einschränkungen zulassen, ohne die Entscheidung von 1973 zurückzunehmen. Dann aber, so die Kolumnistin Ellen Goodman, werde das Recht auf Schwangerschaftsabbruch künftig zu einem „Hindernisrennen“. Jeder Bundesstaat könnte dann nämlich seine eigenen Gesetze einführen. Privilegierte Frauen würden wie einst in die Bundesstaaten fahren, wo sie ohne Probleme abtreiben können, während arme Frauen und Minderjährige den Einschränkungen nicht entgehen könnten.

Bundesjustizminister Dick Thornburgh erklärte sogar, er erwarte, daß dank zukünftiger Einschränkungen der Abtreibungsfreiheit, Frauen wegen ungesetzlichen Schwangerschaftsabbruchs gerichtlich verfolgt werden müßten.

Angesichts der bedenklichen Entwicklung planen die Befürworter der Abtreibungsfreiheit bis zum Juni „die größte Kampagne für die Abtreibungsfreiheit in der amerikanischen Geschichte“. Der Oberste Gerichtshof soll mit Briefen überschüttet, und jenes Drittel der Bevölkerung, das in der Abtreibungsfrage unentschieden ist, gewonnen werden. Der Rest der Bevölkerung besteht zu gleichen Teilen aus AbtreibungsgegnerInnen und -befürworterInnen. Amerikas größte Frauenorganisation, die „National Organization for Women“, wird die Beibehaltung der Abtreibungsfreiheit zum Schwerpunkt einer für April geplanten Kundgebung in Washington machen.

Silvia Sanides