Supermächte halfen Irak bei C-Waffenproduktion

Neben bundesdeutschen Unternehmen haben auch Firmen aus den USA und sowjetische Betriebe den Irak mit Giftstoffen, technischen Anlagen und Know-how beliefert / „Vereinigte Kurdische Front“ legt in Genf Dokumente aus einer Regierungsstelle in Bagdad vor  ■  Von Andreas Zumach

Genf (taz) - Beim Aufbau der Chemiewaffenproduktion des Irak haben offensichtlich neben den hauptverantwortlichen bundesdeutschen Unternehmen und Banken auch die US-Firma Bechtel sowie 30 sowjetische Experten und Ingenieure geholfen. Das geht aus einer Auflistung von 31 ausländischen Zulieferunternehmen, neun als Empfänger fungierenden irakischen Staatsunternehmen sowie 18 Banken oder Finanzierungsunternehmen hervor, die nach Aussage oppositioneller irakischer Kurdenorganisationen an der „Errichtung der Chemiewaffenfabriken direkt oder indirekt beteiligt“ waren. Die von der „Vereinigten Kurdischen Front“ zusammengestellte Liste, die der taz vorliegt, beruht auf Dokumenten einer zentralen Regierungseinrichtung in Bagdad, über die sämtliche irakische Im- und Exportgeschäfte sowie damit verbundene finanzielle Transaktionen abgewickelt und kontrolliert werden. Die irakische Regierungsstelle, bei der die Originaldokumente liegen, ist der taz bekannt.

Shultz-Firma beteiligt

Bemerkenswert ist vor allem die Beteiligung der US-Firma Bechtel, eines weltweit führenden Unternehmens im Anlagenbau. Direktor der Bechtel Group Incorporations sowie Mitglied des Aufsichtsrates war bis zu seinem Amtsantritt am 6.Juli 1982 der ehemalige US-Außenminister George Shultz. Auch sein ehemaliger Kabinettskollege Caspar Weinberger spielte bis zu seinem Eintritt in die Reagan-Administration eine führende Rolle im Bechtel-Konzern. Der Konzern baut und exportiert Industrieanlagen. Schwerpunkt von Bechtels internationaler Tätigkeit sind die arabischen Staaten - eine Tatsache, die 1982 in Israel und bei den jüdischen Verbänden in den USA für Zweifel an der Unabhängigkeit von Außenminister Shultz sorgte.

Nach den vorliegenden Informationen war Bechtel seit 1984 am Aufbau der „Staatlichen Organisation für Schwefel-und Chemieproduktion“ in Akashat, nahe der jordanischen Grenze und 400 Kilometer südöstlich von Bagdad beteiligt. Das konzerneigene Finanzierungsunternehmen Bechtel Financing Services half in Kooperation mit der britischen Midland Bank bei der Finanzierung des Baus. Laut irakischen Regierungsangaben wurde die Anlage zur Erzeugung von Düngemitteln und Insektiziden errichtet. Tatsächlich wird dort jedoch Senfgas hergestellt. Die anderen drei C -Waffenanlagen sind Samarra, 85 Kilometer nördlich von Bagdad, Baiiji, 160 Kilometer nördlich der Hauptstadt, sowie Salma Pak, 35 Kilometer südöstlich von Bagdad, wo nach neuesten Informationen auch biologische Waffen produziert werden.

Die Kurden verfügen über eine Liste mit 30 Namen sowjetischer Experten, die nach ihrer Aussage bei der Errichtung der Anlage in Akashat hat beteiligt waren. Dies bestätigten nach Aussagen des Vertreters der „Vereinigten Kurdischen Front“ bei der UNO in Genf, Salah Jmhor, auch in Akashat beschäftigte irakische Arbeiter. Von den sowjetischen Experten liegen der taz fünf Namen vor: Valeri Petrowitsch, Oleg Vikvikrivilow, Sergey Bochlarioff, Alexy Lyvius und Anatoli Bijets. Salah Jmhor schloß nicht aus, daß eine Reihe der sowjetischen Ingenieure noch in Akashat ist. Aus der Sowjetunion seien außerdem Know-how und Technologien geliefert worden.

Der stellvertretende sowjetische Außenminister und Chefabrüstungsbeauftragte Viktor Karpov wies diese Angaben gegenüber der taz in Genf zurück: „Es ist die eindeutige Politik der UdSSR, keinem Staat bei der Entwicklung, Produktion oder Beschaffung von Chemiewaffen zu helfen.“ Karpov sagte eine Überprüfung der Namensliste zu. Neben Bechtel, USA enthält die Liste beteiligter ausländischer Unternehmen 30 Firmennamen aus Belgien, der Bundesrepublik, Frankreich, Brasilien, Italien, Großbritannien, Jugoslawien und der Schweiz. Spitzenreiter ist die BRD mit sieben Unternehmen: Karl Kolb, Pilot Plant, Preussag, Klöckner -Industrieanlagen, Water Ingeneering Trading (W.E.T.), Deutsche Babcock und Heberger. Gegen Kolb, Pilot Plant, W.E.T. und Preussag bereitet zur Zeit die zuständige Staatsanwaltschaft in Darmstadt eine Anklageerhebung vor. Eine förmliche Anklageerhebung soll Ende des Jahres erfolgen. Unter den beteiligten Geldinstituten sind aus der BRD die Deutsche Bank und die Deutsche Genossenschaftsbank aufgeführt. Know-how sollen außer der UdSSR noch Indien sowie Nord- und Südkorea zur Verfügung gestellt haben. Ob die einzelnen Firmen und Banken jeweils wußten, daß sie am Aufbau der C-Waffenproduktionskapazität beteiligt waren, ist noch ungeklärt.

Frühere Hinweise liegen vor

Berichte, wonach neben der politisch hauptverantwortlichen Bundesrepublik Deutschland auch die beiden Großmächte USA und UdSSR nicht ganz unschuldig am irakischen Chemiewaffenbesitz sind, gab es auch schon in der Vergangenheit. 1983 lieferte die US-Firma Philips Petroleum Company über ihre Tochter in Tessenderlo, Belgien, 500 Tonnen Thiodiglykol (TDG) an die irakische Staatsfirma für Pestizid-Produktion SEPP. Das TDG landete in der Samarra -Chemiewaffenfabrik und wurde dort zur Herstellung von Senfgas verwendet. Nach ersten Berichten über irakische Chemiewaffeneinsätze im Golfkrieg stornierte Philips 1984 eine zweite Lieferung von 500 Tonnen Thiodiglykol an die SEPP. Eine dritte, 1985 für die Textilfirma Cades nach Spanien gelieferte 500-Tonnen-Ladung TDG, die nach Behauptungen eines Cades-Sprechers wegen Unbrauchbarkeit verbrannt wurde, gelangte nach Aussagen des damaligen belgischen Außenhandelsministers Etienne Knoops im Brüsseler Parlament tatsächlich jedoch in den Irak.

Auf ähnlich verschlungenen Pfaden sollen sowjetische Lieferungen schließlich den Irak erreicht haben. Nach dem irakischen Giftgasangriff auf die Kurdenstadt Halabdschah Mitte März 1988 durchgeführte Recherchen der 'Frankfurter Rundschau‘ ergaben: Die UdSSR gaben mit größter Wahrscheinlichkeit einen Teil der 12.000 Tonnen des Nervengifts Tabun, das sie 1945 samt intakter Fabrikationsanlage aus Schlesien abtransportiert hatten, an Ägypten weiter. Die Nazis hatten das Tabun produziert, in Fässer abgefüllt, aber nie verwendet. Ägypten setzte Mitte der sechziger Jahre C-Waffen im jemenitischen Bürgerkrieg ein, deren Wirkung auf ein Nervengift schließen ließ. Nach Meinung zahlreicher C-Waffenexperten lieferte Ägypten einen Teil seiner Tabun-Vorräte in den Irak, der sie beim Angriff auf Halabdschah einsetzte. Die 'FR'-Veröffentlichung vom 28.April 1988 provozierte ein ausführliches Dementi des Sprecher des sowjetischen Außenministers Gerassimow. In seiner Rede vor der Internationalen Pariser C -Waffenkonferenz Anfang Januar erklärte Außenminister Schewardnadse, daß die UdSSR niemals C-Waffen in irgendein anderes Land transportiert“ habe.