: Hamburg noch immer im produktiven Chaos
Die StudentInnen streiken noch, aber die Zahl der StreikgegnerInnen nimmt zu / Uni-Präsident äußert sich nicht zu den inhaltlichen Forderungen der StudentInnen / Die KommilitonInnen verlangen u.a. Drittelparität und Frauenförderung ■ Aus Hamburg Philip Stüdemann
Nach Berlin und Frankfurt war die Hamburger Uni die dritte Hochschule, deren SudentInnen in den Streik traten. Ausgegangen war der Ausstand von den SozialwissenschaftlerInnen, die am 10.12.1988 den Streik beschlossen und ihr Gebäude, den „Pferdestall“, am selben Tag für besetzt erklärten. Es folgte die Besetzung des Philosophenturms und des Hauptgebäudes. In der Zeit vor Weihnachten befanden sich bis auf die ZahnmedizinerInnen und die PharmazeutInnen sämtliche Fachbereiche im Streik. Es begann die Phase des „produktiven Chaos“.
Auf der einen Seite waren die StudentInnen bemüht, ihre Anliegen der Öffentlichkeit zu vermitteln. Öffentliche Vorlesungen in U-Bahnen und in Einkaufspassagen gab es ebenso wie Bildungshürdenläufe und Volleyballturniere der SportlerInnen auf dem Hamburger Rathausmarkt. Auf der anderen Seite war es auch schon zu Anfang des Streiks das Hauptanliegen der StudentInnen, die verkrusteten Strukturen der Universität aufzubrechen und dem unbeweglichen Verwaltungsapparat etwas Eigenes entgegenzusetzen. Die finanziellen Forderungen nach einem Soforthilfe-Programm traten in den Hintergrund. „Was nützt uns Geld, wenn wir keinen Einfluß darauf haben, wo es eingesetzt wird?“ argumentierten die StudentInnen. Der Ruf nach der selbstbestimmten Uni wurde immer lauter. Selbstbestimmung in dem Maße, daß die NaturwissenschaftlerInnen z.B. nicht für Konzerne forschen müssen, nur weil diese sie finanziell unterstüzen.
In unzähligen autonomen Seminaren und Veranstaltungen wurde die andere Universität entworfen. Frauen gründeten ein eigenes Plenum. PhysikerInnen und InformatikerInnen setzten sich mit kritischer Wissenschaft auseinander, überall wurde getagt, diskutiert, in Frage gestellt und, vor allen Dingen, gelernt. Eine Romanistikstudentin sagte auf einer VV, daß sie „während des Streiks mehr gelernt habe als in den letzten Semestern“.
Wenn auch die einzelnen Fachbereiche sehr individuelle Forderungen haben, so gibt es doch einen Katalog von Maßnahmen, die für die gesamte Uni Hamburg gelten:
-ein finanzielles Sofortprogramm,
-mehr Mitbestimmung in den Hochschulgremien (Drittel -Parität),
-spezielle Frauenförderung,
-Mitbestimmung bei Lehrinhalten,
-Zurücknahme der Schließungspläne für das Interdisziplinäre Zentrum für Hochschuldidaktik (IZHD). Das IZHD ist ein international anerkanntes Institut und hat den StudentInnen beispielsweise den Aufbau eines reformierten Jura -Fachbereichs ermöglicht.
Uni-Präsident Fischer-Appelt hat sich nur mit den finanziellen Forderungen und dem Ruf nach Erhalt des IZHD solidarisch erklärt, zu den inhaltlichen Forderungen aber bislang noch nicht Stellung bezogen. Auch auf einer vom Akademischen Senat inszenierten Demonstration am vergangenen Mittwoch, bei der rund 15.000 StudentInnen durch die Hamburger Innenstadt zogen, ging Fischer-Appelt mit keiner Silbe auf die inhaltlichen Forderungen ein und erntete für seinen Redebeitrag Farbbeutel- und Apfelsinen-Würfe.
Das Verhalten der ProfessorInnen ist sehr unterschiedlich. In einigen Fachbereichen gibt es für den Besuch von autonomen Seminaren Scheine, in anderen nicht. Viele StudentInnen glauben, daß sich ein Großteil der ProfessorInnen nur hinter die StudentInnen-Forderungen stellt, „um ihren Arsch zu retten“. Diese Einschätzung erwies sich jedoch als falsch. Als der Hamburger Senat am 9.1.'89 eine Regelung zurücknahm, die vorsah, bis '99 nur jede dritte altersbedingt freiwerdende Uni-Stelle neu zu besetzen, blieben die Profs solidarisch.
Mittlerweile machen in Hamburg vor allem die Streik -GegnerInnen von sich reden. Nur mit äußerst knapper Mehrheit wurde am vergangenen Donnerstag die Fortführung des Ausstands im Philosophenturm beschlossen. Was zu Beginn des Sommersemesters an der Hamburger Uni passieren wird, mag im Augenblick niemand vorhersagen. Es gibt aber schon Gruppen, die einen bunten Auftakt des neuen Semesters planen.
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