Weltweite Heuchelei

Chemiewaffen im Nahen Osten  ■ K O M M E N T A R E

Einmal angestochen, ist die Flut von Enthüllungen über Chemie-, Bio- und andere Waffen in den Nahen Osten nicht mehr zu stoppen. Wenn die USA gehofft hatten, den Skandal um die Produktion von Giftgas auf Libyen begrenzen zu können, sehen sie sich jetzt getäuscht. Im Windschatten der Libyen -Affäre zeichnen sich immer deutlicher die Konturen eines älteren Geschäfts ab, daß in den USA aus politischen Gründen anders bewertet wurde und wird.

Die internationalen Verflechtungen beim Aufbau der irakischen Chemiewaffenproduktion können die bundesdeutschen Firmen nicht entlasten - sie sind in beiden Ländern führend in die Herstellung der Massenvernichtungsmittel involviert. Gleichzeitig macht das Beispiel Irak aber noch einmal deutlich, daß die Meßlatte, wonach etwas zu einem internationalen Skandal wird, ausschließlich im Bereich politischer Opportunität zu suchen ist. Da die Machtzentren der Welt, egal ob in Washington, Moskau oder Europa, an einem militärischen Sieg des Iran kein Interesse hatten, durfte Saddam Hussein Giftgas produzieren und einsetzen lassen. Erst jetzt, wo die irakische Führung deutlich macht, daß die Waffen auch in zukünftigen Nahostkonflikten zu einem schwer kalkulierbaren Faktor werden, tritt Washington auf die Bremse. Da man aber auf eigene Chemiewaffen nicht verzichten will, folglich ein weltweites Verbot der Produktion blockiert, müssen nun die politisch inopportunen Lieferanten an den Pranger. Bleibt zu hoffen, daß auf Bush die zynischen, doppeldeutigen Argumente der Administration, an der er ja beteiligt war, jetzt zurückfallen.

Jürgen Gottschlich