Leichen im Keller

■ Genschers Rolle im Libyen-Geschäft

Die Rolle von Außenminister Genscher in der Libyen-Affäre wird immer dubioser. Nachdem die mutmaßliche Kampfstoffabrik und die Beteiligung der Deutschen daran seit nunmehr vier Wochen die internationalen Schlagzeilen füllt, konnte oder wollte Genscher gestern nicht einmal sagen, wann genau er zum erstenmal von diesem Projekt hörte. Kanzleramtsminister Schäuble hatte dem Bundestag berichtet, der oberste Außenpolitiker sei erst vor jener berüchtigten Washington -Reise am 14.November „erstmals informiert“ worden. Träfe Schäubles Aussage zu, müßte das Außenministerium eine schlampig geführte Behörde sein. Denn bereits sechs Monate zuvor wurde das Auswärtige Amt auf „Arbeitsebene“, wie es heißt, von dem Libyen-Verdacht unterrichtet und wandte sich seinerseits an andere Ministerien. Es ist kaum glaubwürdig, daß die brisante Materie in der straff geführten Genscher -Administration ohne Wissen des Chefs behandelt wurde. Der Mann mit den großen Ohren hat also Grund, sich nun auf einen neuen Zeitpunkt seiner Mitwisserschaft zu besinnen. Nur braucht er dafür ungewöhnlich lange.

Unter den Liberalen ist es merkwürdig still geworden. Selbst jene Abgeordneten, die sich sonst gerne lautstark aus dem Fenster hängen, um Versäumnisse der Union zu kritisieren, reden jetzt nur lahm von „offenen Fragen“ (Hirsch). Vorbei ist der Zeitpunkt, wo die Informationspolitik der Regierung noch mit Ungeschicktheiten erklärt werden konnte und sich das Schweigen des Außenministers mit geschäftiger Konferenz-Huberei vertuschen ließ. „Das ist alles eine große Scheiße“, meinte ein ratloser Liberaler gestern unter der Hand.

Vorerst kann nur spekuliert werden, welche Leichen im Keller des Auswärtigen Amts liegen mögen. Wie ernst die Krise ist, die sich um Genschers Rolle zusammenbraut, wird daran deutlich, daß die Opposition von einem ihrer liebsten Hobbys lassen muß: den Außenminister als angeblichen Kronzeugen gegen die Kohl-/Scholz-Politik ins Feld zu führen. Wenigstens dies ist eine politisch heilsame Wirkung des Libyen- Debakels.

Charlotte Wiedemann