Kleine Therapieerfolge

Die Anbieter von HIV-Tests drängeln sich auf dem 2.Deutschen Aids-Kongreß. Man kann (und soll) sich auf HIV-1, HIV-2 oder am besten gleich auf beide Virusvarianten testen lassen; die Testreaktionen fallen grün oder rot aus; sie dauern mehrere Minuten oder auch einige Stunden. Aids-Diagnostik ist der Renner. Nur vereinzelt sind unter den Ausstellern Firmen auszumachen, die Medikamente zur Aids-Behandlung verkaufen wollen. Der Star unter diesen Firmen ist der internationale Pharma-Gigant Wellcome, weltweit einziger Anbieter von AZT-Präparaten, der Mitte 1987 auch in der Bundesrepublik die Zulassung für sein Präparat AZT/Zidovudine erhielt. Dort bekommt man neben bunten Broschüren und freundlicher Beratung auch kleine Häppchen gereicht. Bis heute ist AZT das einzige zugelassene Mittel, das sich in seiner Wirkung direkt gegen die HIV-Infektion richtet - und eines der teuersten Therapeutika der Medizingeschichte. Es vermindert die Vermehrung des HIV im menschlichen Körper, indem es sich in die RNS des Retrovirus einbaut. Dabei entstehen allerdings Nebenwirkungen, die von Kopfschmerzen und Übelkeit bis zu schweren Blutbildveränderungen reichen. Dennoch läßt sich die Bedeutung von AZT in der Aids-Behandlung daran ablesen, daß fast die Hälfte aller auf dem Kongreß präsentierten Therapiestudien mit AZT arbeiten. Unstrittig ist mittlerweile die Lebensverlängerung, die das Medikament vor allem im Vollbild Aids erreichen kann. Eine Frankfurter Studie jedoch stellte in Frage, ob die Wirkung des Stoffes wirklich über einen längeren Zeitraum anhält. An der dortigen Uni-Klinik hat man bei der Mehrheit der behandelten Patienten nach 200 Tagen schwer zu beherrschende Rückfälle beobachtet.

Generell gehört AZT zu den sogenannten Virusstatika, die das komplizierte HIV direkt anzugehen versuchen. Hier sind zur Zeit weitere Substanzen in der klinischen Erprobung, die eine ähnliche Wirkung entfalten sollen, von denen man aber hofft, daß sie mit geringeren Nebenwirkungen behaftet sind. Inzwischen wird versucht, nicht erst im Endstadium der Infektion, im Vollbild Aids, entsprechend einzugreifen, sondern bereits in einer früheren Phase der HIV-Infektion die Virusvermehrung durch AZT zu behindern. Bei Nadelstichverletzungen im Krankenhaus wird ebenfalls die 14tägige prophylaktische Einnahme von AZT empfohlen. Brauchbare Ergebnisse zum frühzeitigen Einsatz konnten in Berlin jedoch nicht vorgelegt werden.

Eine andere Art, den vom HI-Virus verursachten Immundefekt unmittelbar zu behandeln, besteht in der Immunmodulation. Dabei wird die Immunabwehr des Patienten durch die intravenöse Zufuhr zum Beispiel von Immunglubolinen unterstützt. Doch diese Therapiestrategie steckt noch in den Anfängen. Entsprechend wurden nur wenige Studien präsentiert.

Der überwiegende Teil der Aids-Patienten stirbt an einer sogenannten opportunistischen Infektion, an Erregern also, die sich infolge des zusammenbrechenden Immunsystems im Körper breitmachen. Dieselben Erreger können Gesunden in der Regel nichts anhaben. Fortschritte gibt es insbesondere in der Behandlung dieser Folgeerscheinungen der Immunschwäche. Einige Infektionen, die man bereits seit Beginn der Aids -Krise kennt, sind heute relativ gut zu therapieren. Dies gilt für Infektionen mit dem Cytomegalie-Virus, die Gehirntoxoplasmose und insbesondere für die für Aids typische Lungenentzündung PCP. Sie ist die häufigste opportunistische Infektion. An ihr erkrankt der größte Teil der Aids-Patienten irgendwann einmal, und ein großer Prozentsatz stirbt an dieser Erkrankung. Bei der PCP wird mittlerweile eine Inhalationstherapie mit Pentamidin praktiziert, die nach überstandener erster PCP eine zweite weitgehend zuverlässig verhindern kann. Es wird außerdem erwogen, diese Therapie prophylaktisch bei HIV-Patienten anzuwenden, deren Immunstatus eine PCP erwarten läßt. „Hier gibt es große Fortschritte“, so der Leiter der Aids-Ambulanz in München-Schwabing, Hans Jäger. Doch ein Problem bleibt: Ist ein opportunistischer Erreger im Griff, kann der nächste weitaus schwerer zu beherrschen sein. So wurde auf dem Kongreß von einer zunehmenden Zahl von tuberkulosen unter den Aids-Patienten berichtet.

Am Ende blieb ein skeptisches Resümee Jägers: „Aus Berlin können wir kein neues Therapiekonzept mit nach Hause nehmen. Aber das war auch nicht zu erwarten.“ Zwar ist der Pessimismus früherer Jahre nach der Entdeckung von AZT einem Anflug von Optimismus gewichen, irgendwann doch eine wirksame Aids-Therapie zu finden. Es herrscht aber auch Einigkeit darüber, daß dies wohl keine Frage von Jahren, sondern eine von Jahrzehnten ist. Bislang kann die Medizin in Sachen Aids nur auf Lebensverlängerung und Leidenslinderung setzen.

Andreas Salmen