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Fein gemeines Lachen

■ Ingomar von Kieseritzky, diesjähriger Bremer-Literaturpreis-Träger, las in der „Stadtwaage“ aus seinem „Buch der Desaster“: Desastrierender Virtuose neben Näschereien

Rührend-komisch die Inszenierung in der bremisch-gediegenen „Stadtwaage“: Ein stoffverhülltes Tischchen, darauf ein Mineralwasserfläschchen, ein Schnapsgläschen mit Zigarettchen, ein Gläschen mit Schoko-Röllchen. Das alles für Ingomar von Kieseritzky, auf dessen Literatur derartige Niedlichkeiten so augenfaustig passen wie der Kater auf eine Mäusehochzeit.

Und dann besteigt er das Podium: Klein ist er, schmal, bebrillt und elegant. Ich hatte ihn mir immer - wohl wegen des bombastischen Adelsnamens - ganz groß und mächtig vorgestellt. Er steigt hinauf und läßt im Vorbeigehen ein höflich-süffisantes Sätzchen fallen, bedankt

sich bei der frohgestimmten Dame, die ihre Einführungsworte mithilfe kopierten Zitatenmaterials aus FAZ, ZEIT und SZ bestritten hatte, „für die Nachlese der Rezensionen zu meinem Buch.“ Und dann beginnt er mit seiner Lesung, die eine Stunde dauert - zu kurz, zu kurz, denn wenn jemand so virtuos seine eigenen Texte vorträgt, mag ich sie nur noch vorgelesen kriegen.

Von Kelp und Brant liest er, den Protagonisten seines „Buch der Desaster“, und die Erlebnisse, die Reflektionen, die Liebesgeschichten und die Gespräche dieser beiden Herrn strotzen vor böser Komik. Nein, „strotzen“ ist ganz falsch; das klingt nach „vollgestopft“, und Ingomar von Kieseritzkys Stil ist leicht, ist elegant, lakonisch. Er scheut sich zwar nicht vorm Sturz ins Land der Kalauer, auch nicht vor Albernheiten, bei denen sich's laut prusten läßt. Meist aber verlockt er zum fein gemeinen Lachen. Zum Lachen über das, worüber sich alltäglicherweise gar nicht lachen läßt. Zum Beispiel Kelps bei Schilderung des stinkenden, verwesenden, verwahrlosten Nachlasses seiner Mutter - das Rentnerelend in seiner boshaft umgekehrten, ironisierten Form - und Mutters Gesicht auf dem Totenbett: “...die arme Alte (lag) nackt unter ihrem Laken in der Kapelle der Nachsorgeklinik, zahnlos, ohne eine Stirnfalte, leicht vergrämt und um die Mundwinkel, wie zu Lebzeiten, aufs Äußerste verbittert.„

Wie jeder gestandene Ironiker

ist Ingomar von Kieseritzky - zumindest als Literat - ein Hypochonder. Die Herren Kelp und Brant sind viel beschäftigt mit Wehwehchen: Brant, meist „aphon“ - ihm bleibt die Stimme weg - glaubt, Kehlkopfkrebs zu haben. Das hat er nicht. Trotzdem stirbt er am Ende. Einfach so. Und einfach so hört die Lesung auf. Ein Jammer. Jetzt muß ich das Buch alleine lesen.

Sybille Simon-Zülch

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