Eigener Kandidat-betr.: "Gegenkandidat für Weizsäcker", taz vom 16.1.89

betr.: „Gegenkandidat für Weizsäcker“, taz vom 16.1.89

In seinem Bericht und Kommentar über die Bundeshauptausschußsitzung der Grünen kritisiert Gerd Nowakowski, daß die Grünen einen eigenen Kandidaten für die Wahl des Bundespräsidenten nominieren wollen. Hierzu ist folgendes festzustellen:

1. Weizsäcker war am 1.September 1939 als Mitglied des 9.Infanterieregiments am Überfall auf Polen beteiligt. Bereits ein Jahr zuvor hatte er sich zur Aufklärungsabteilung 3 nach Strahmsdorf gemeldet.

2. Weizsäcker war 1947 in Nürnberg als Hilfsverteidiger seines Vaters Ernst von Weizsäcker tätig, der als Staatssekretär Hitlers im Auswärtigen Amt (1938-43) für die Verschiebung von 6.000 Juden nach Auschwitz verantwortlich zeichnete. Die Verteidigung (also auch Richard von Weizsäcker) - wie Ernst von Weizsäcker selbst - bestritten, daß dieser gewußt habe, daß Auschwitz ein Todeslager sei. Er wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt, von denen er nur eineinhalb Jahre absitzen mußte.

3. Richard von Weizsäcker war vom 1.Mai 1962 bis 30.5.1966 zuerst Mitglied der Geschäftsleitung und bald auch persönlich haftender Gesellschafter von C.F.Boehringer in Ingelheim. Boehringer lieferte der US-Firma Dow Chemical laut Vereinbarung vom 7./8. Dezember 1964, über das Boehringer-Vertriebsunternehmen CELA, Verfahren und Grundstoffe zur Herstellung des Wirkstoffs 2,4,5 -Trichlorphenol, der, neben 2,4-D Grundsubstanz zur Herstellung von Agent Orange war, das aufgrund seiner Verunreinigung mit dem Seveso-Dioxin TCDD abertausenden von Vietnamesen Krebs, Mißbildungen und Tod brachte. Boehringer und seine rechte Hand Richard von Weizsäcker leiteten mit diesen Geschäften den weltweiten Aufschwung der Firma Boehringer ein. Noch ein Jahr nach dem Ausscheiden Weizsäckers von Boehringer notierte ein Mitarbeiter: „Solange der Vietnamkrieg andauert, sind keine Absatzschwierigkeiten zu erwarten.“

Von der Gerwerkschaftszeitschrift 'metall‘ 1984 nach seiner Rolle bei Boehringer befragt, ging es Richard von Weizsäcker ebenso wie seinem Vater 1947: er wußte von „gar nichts“. Soviel zur tödlichen Konstanz deutscher Geschichte und bürgerlicher Moral.

Die Produktspuren dieser Unternehmenspolitik von Boehringer/Weizsäcker sind in dem Hamburger Müllberg Georgswerder begraben, die Anwohner wissen ein Lied davon zu singen.

Wir sind der Ansicht, daß die Argumente, die 1984 gegen die Wahl Weizsäckers sprachen, auch heute noch ihre Gültigkeit haben sollten. Der taz, den Teilen der Grünen und Autor Gerd Nowakowski, die trotz alledem eine Wiederwahl Richard von Weizsäckers befürworten, sei die Lektüre der Artikel von Otto Köhler „Das Frettchen“ ('konkret‘ Heft 6, Juni 1984) und „Wenn das der Führer wußte“ ('konkret‘, Heft 9, September 1984) bzw. die Bücher Richard von Weizsäcker Profile eines Mannes (Econ-Verlag) und Supergift Dioxin

-Der unheimliche Killer von H.D.Degler und D.Uentzelmann (Rowohlt tb) empfohlen.

Wer dann noch der „Gemeinsamkeit aller Demokraten“ aufsitzt, dem sei empfohlen, sich auf einer Soli-Reise nach Vietnam oder Laos in Krankenhäusern die in Glasbehältern aufbewahrten Ergebnisse umsichtiger Weizsäckerscher Unternehmenspolitik zu betrachten: menschliche Föten mit Zyklopenaugen, ohne Arme, ohne Beine, mit Riesenköpfen, ohne Nasen, Augen, Hälse. (...)

Thomas Rey, Die Grünen, Gilching

Es berührt mich merkwürdig, daß auch Leute, die sich für BasisdemokratInnen halten, sich von der gefällig-autoritären Ausstrahlung des weißhaarigen amtierenden Bundespräsidenten so stark beeindrucken lassen, daß sie sich einbilden, das seien die endgültigen Tugenden für das höchste Staatsamt. (...)

Die Verfassung verlangt für dieses Amt ein Mindestalter von ganzen 40 Jahren. Und die grün-alternative Bewegung verfügt über sehr viele untadelige, hochkompetente, strukturierte Persönlichkeiten, die überall im Land in Initiativen oder Kommunalparlamenten astreine, uneigennützige Arbeit leisten und dafür persönlich nichts als Frust ernten können. Keine andere Partei in der BRD hat in solchen Funktionen vergleichbare Leute aufzuweisen. Zugleich sind es fast noch die einzigen, denen zu verdanken ist, daß die grüne Partei noch über moralischen Kredit verfügt. Und es hat sich immer gut gemacht, wenn man eine/n Unbekannte/n präsentieren konnte, der/die unbedingt vorzeigbar war.

Man suche also bitte so jemanden, treffe die endgültige Auswahl vielleicht gar nach einem freundschaftlichen Zufallskriterium (vielleicht findet sich zum Beispiel eine Person mit den richtigen Qualifikationen, die am Tag der Wahl ihren 40.Geburtstag feiert) und schmücke sich mit etwas, worauf man wirklich stolz sein kann.

Margret Gönner, 35jährige AL-Stadträtin, Tübingen