Natur der Frau

■ Theorien und literarische Entwürfe über die Natur der Frau in der französischen Aufklärung

Feminismus ist kein Thema mehr, winken die Zeitgeistler gelangweilt ab. Dissertationen sind alle Schrott. Wer liest schon so was, sagen fast alle, die über so etwas überhaupt reden. Hier ist ein Buch, das beide Gemeinplätze widerlegt: Lieselotte Steinbrügges Dissertation „Das moralische Geschlecht“ ist eine der lesenswertesten, inspiriertesten und inspirierendsten wissenschaftlichen Arbeiten, die ich in der letzten Zeit gelesen habe. Eine sehr sachliche, genaue Lektüre von Texten der französischen Aufklärung zum Thema „Natur der Frau“. Sie beginnt mit Francois Poulain de la Barres 1673 erschienener Schrift Von der Gleichheit der Geschlechter. Der Cartesianer formulierte gegen alle Frauenverächter, die dem weiblichen Geschlecht geringere Intelligenz unterstellten: „Der Verstand hat kein Geschlecht“. Im Vorwort zu seiner ein Jahr später erschienenen Schrift Über die Erziehung der Damen hinsichtlich der Wissenschaften und Sitten, stellte er klar, daß sein Buch natürlich auch für Männer gedacht wäre. Er war gegen eine spezifisch für Frauen zurechtgeschnittene Wissenschaft. Steinbrügge referiert die Auseinandersetzung um das Ideal der gelehrten Frau, geht dann über zu den Autoren der Enzyklopädie und endet bei Jean-Jacques Rousseau. Ein Weg, der sehr weit weg führt von der Position eines de la Barre.

Steinbrügge zeigt ein mir neues Kapitel der Dialektik der Aufklärung. Ganz ohne große Gesten führt sie die einzelnen Etappen einer verhängnisvollen Entwicklung Stück für Stück vor, interpretiert überprüfbar und dadurch um so eindrucksvoller vielzitierte und entlegene Texte. Ein Vergnügen, ihr durch die Schriften der französischen Aufklärer zu folgen.

In der Enzyklopädie wird jenes Frauenbild formuliert, gegen das noch Betty Friedan hatte ankämpfen müssen. Die Frau ist in erster Linie Geschlechtswesen. Der Verstand mag kein Geschlecht haben, aber das Geschlecht hat ganz sicher keinen, könnte man karikierend - Steinbrügge läßt sich zu so etwas nicht hinreißen - sagen. Die Enzyklopädisten waren auch nicht etwa Frauenfeinde. Es gilt vielmehr: „Die naturhaft-kreatürliche Charakterisierung des Menschen kann als wesentliches Merkmal der Encyclopedie und der Anthropologie der späten Aufklärung insgesamt angesehen werden.“ Der „materialistische“ Blick auf die Beschaffenheit des Menschen hebt die Physis hervor und damit den den Menschen erst ermöglichenden Geschlechtsunterschied. Eine Reihe anderer Faktoren drängen zusätzlich die Frauen immer mehr in die Rolle des Geschlechtswesen. Da ist das bürgerliche Bild vom nützlichen Menschen. Eine Revolution gegen das aristokratische vom Menschen als Müßiggänger. Jetzt wird der Mann durch seine Arbeit definiert, die Frau aber durch ihre „biologische Fähigkeit, menschliches Leben zu produzieren“. Diderot schreibt im programmatischen Artikel „Homme (politique)“: „Es gibt keinen wahren Reichtum außer dem Menschen und der Erde. Der Mensch ist wertlos ohne die Erde und die Erde wertlos ohne den Menschen. Wertvoll ist der Mensch durch die Anzahl. Je größer an Zahl eine Gesellschaft ist, desto mächtiger ist sie im Frieden und desto mehr ist sie in Kriegszeiten zu fürchten. Ein Herrscher soll sich also um die Vermehrung seiner Untertanen ernstlich kümmern. Je mehr Untertanen er hat, desto mehr Kaufleute, Handwerker und Soldaten hat er.“ Das ist das physiokratische Credo, gewissermaßen die Geburtsurkunde der modernen Nationalökonomie.

Wer jetzt aufhört weiterzulesen und denkt, jaja, die Aufklärung ist an allem schuld, hat wieder mal nichts verstanden. Steinbrügge geht es nicht um Schuldzuweisungen, nicht um Verurteilungen, sondern um den Aufweis einer verhängnisvollen Ambivalenz der Rückbesinnung auf die Natur. „Der Frauenstreit wird auf eine sinnesphysiologische Ebene verlagert. Damit ist die Möglichkeit einer alle Lebensäußerungen umfassenden Abgrenzung von Feminität und Maskulinität geschaffen. Spielte die biologische Natur der Frau im Hinblick auf ihre geistige Kapazität für Poulain de la Barre und seine Nachfolger eine unwichtige Rolle, weil doch nach cartesianischer Auffassung die als geschlechtslos angesehene Vernunft den Vorrang hatte, so gehen Thomas (Essay über die Frauen 1772) und Roussel (Systematischer Überblick über die Natur und den Geist der Frau 1775) nun gerade von der physiologischen Konstitution der Frau aus, um ihre intellektuellen Fähigkeiten zu bestimmen.“ So emanzipatorisch der biologische Ansatz gegen die Verblasenheiten und nicht weniger knechtischen Traditionen der religiösen Überlieferung war, so verhängnisvoll wirkte seine Prinzipalisierung sich für das Frauenbild aus. Steinbrügge formuliert das in ihrem Nachwort so: „Dabei ergibt sich das Paradoxon, daß ausgerechnet mit Hilfe des Naturbegriffs, der, auf den Menschen gewendet, Emanzipation bedeutet, die Frau von dieser Emanzipation ausgeschlossen wurde.“

Besonders eindrücklich das Rousseau-Kapitel, in dem Steinbrügge zeigt, wie der Rückschluß von der Physiologie auf die Psychologie entwickelt wird. Den spezifischen Geschlechtsorganen werden spezifische Charaktere zugeordnet. Daß dabei genau die Rollen sich herauspräparieren, die gesellschaftlich vorgegeben sind, wird als zusätzlicher Beleg für die Richtigkeit der Ableitung verstanden. So schließt sich ein Teufelskreis, aus dem eineinhalb Jahrhunderte lang kaum einer Frau auszubrechen gelang. „Die allgemeine Tendenz, die unmittelbare Mitmenschlichkeit in der Privatsphäre - außerhalb der zweckrational geprägten Geschäftswelt - anzusiedeln, äußert sich jetzt darin, daß der Frau in besonderem Maße die für den zwischenmenschlichen Bereich erforderlichen moralischen Eigenschaften zugeschrieben werden, weil sie eben diesem Bereich des Privaten aufgrund ihrer biologisch-sozialen Funktion näher steht. Mir scheint diese Position Rousseaus entscheidend für alle weitere Bestimmung seines Frauenbildes zu sein.“ Und ganz gewiß nicht nur für seines. Ganz am Ende gestattet sich Steinbrügge einen Seitenhieb auf jene, die sich gar zu bereitwillig auf eine Diskussion über „das Weibliche“ einlassen: „Auch heute noch tut sich die Frauenbewegung schwer mit der Rehabilitierung der Intellektuellen - trotz Mißtrauen gegen überlieferte Normen von Weiblichkeit... Die neue Suche nach spezifisch weiblichen Werten und der neuen 'Weiblichkeit‘ in expliziter Abgrenzung zur männlichen Welt ist nur die Kehrseite der bekämpften aufklärerischen Vernunft, d.h. sie gehört zu ihr.“

A.W.

Lieselotte Steinbrügge: Das moralische Geschlecht - Theorien und literarische Entwürfe über die Natur der Frau in der französischen Aufklärung, Beltz-Verlag, 153 Seiten, 24DM.