Bettgeflüster im Wahlkampf

Am Sonntag wird in Berlin gewählt / Nach einem Wahlkampf ohne Themen und Kontroversen fürchten die Parteien eine niedrige Wahlbeteiligung / Die SPD verscherzt sich Prozente mit Plakat  ■  Aus Berlin Brigitte Fehrle

Wären Einfallsreichtum und Phantasie in der Wahlwerbung ein Indiz für den Ausgang der Volksbefragung, die SEW wäre im Berliner Wahlkampf Sieger. Die Sozialistische Einheitspartei Westberlins, wie die Abspaltung der SED auf Westberliner Territorium heißt, legte ein Maß an Witz und Selbstironie an den Tag, das selbst eingefleischte Antikommunisten anerkennend schmunzeln ließ. „Wer uns wählt, frißt kleine Kinder und keinen sozialdemokratischen Käse“, drohen sie in Anspielung auf die alte antikommunistische Hetzpropaganda aus den Zeiten des kalten Krieges. In diesem Stil wirbt die SEW seit mehreren Wochen und hat inzwischen erreicht, daß man mit Spannung auf die neuen Sprüche wartet.

Die Beachtung, die die SEW findet, ist Zeichen für die Ödheit des Berliner Wahlkampfs. Kontroversen gibt es keine, ja nicht einmal Themen. Und so bleibt der interessierten Öffentlichkeit nichts übrig, als sich mit den Bonmots am Rande zu befassen.

Da sind zum Beispiel die Plakatwände der Sozialdemokraten. Ganz stolz hatte Wahlkampfleiter Nagel zu Beginn des Jahres darauf hingewiesen, daß sie keine Werbeagentur beauftragt, sondern sich alles selbst ausgedacht hätten. Leider - kann man da nur sagen. Und wenn vor vier Wochen nocht wohlwollende Prognostiker der SPD 37 Prozent (1985 32,4 Prozent) geben wollten, so ist jetzt - zwei Tage vor der Wahl - klar, daß sie die Chance spätestens mit ihrem letzten Machwerk verspielt haben. Das feiste Pärchen im Bett tut per Sprechblase kund: Wir haben uns entschieden... Doch wozu? „Wir bleiben im Bett“, findet sich, kaum daß das Plakat klebte, in Sprühbuchstaben dazugedichtet. Die SPD besserte nach. Jetzt klebt ein blauer Streifen quer über der Blümchenwäsche: „Nach dem Frühstück SPD“.

Immerhin, meint Wahlkampfleiter Nagel mit verzweifeltem Optimismus, die SPD sei im Gespräch. Doch die entsetzten oder hämischen Reaktionen schaden der Partei. Zumal die CDU vor zwei Tagen gut gekontert hat: „Ausgeschlafene wählen Eberhard Diepgen“, ließen sie spontan schwarz auf weiß drucken und in der Stadt verkleben.

Doch nur ein Problem beschäftigt die Berliner Parteien, so kurz vor der Wahl wirklich: Wie kriegt man die Leute nach diesem langweiligen Wahlkampf an die Urne. Und so ist die neuste, von den Springer-Zeitungen veröffentlichte Wahlumfrage auch deutlich als Schreckpille zu interpretieren. Sie soll diejenigen aus dem Bett treiben, die denken, „der Diepgen wird's ja doch“. Das Institut „Intop“ malte das Gespenst eines Kopf-an-Kopf-Rennens zwischen der CDU-FDP-Koalition und einem fiktiven Rot-grün -Bündnis an die Wand. Leute, geht zur Wahl, heißt die Botschaft. Denn wenn es einen Unsicherheitsfaktor gibt, dann ist das die niedrige Wahlbeteilung. Nichts anderes könnte den Sieg von CDU und FDP trüben, aber auch den anderen, nicht zuletzt der Alternativen Liste, einen Dämpfer versetzen. Denn in der Szene herrscht Verwirrung. Längst ist von der AL als dem „kleineren Übel“ die Rede. Denn es fehlt die Alternative.