Haschmich mit dem Leben

■ Andreas Feininger, der zweite Große im „Forum“: ausgeleerte Taschen kleiner Jungs und Bauhaus-Ästhetik

Gisele Freund würde völlig reichen. Oben drauf aber gibt es noch Andreas Feininger. Zwei ganz Große also hängen in einer Doppelausstellung an sämtlichen Wänden des „Fotoforums Böttcherstraße“. Das ist Luxus.

Das ist Absicht, sagt Wolfgang Stemmer vom „Forum“. Freund und Feininger waren beide verfolgte und darum aus Nazi -Deutschland emigrierte Juden. Beide Lebensgeschichten trafen sich trotz unterschiedlichster Richtungen (Paris vs. Stockholm) bei LIFE, diesem fast mythischen Symbol für die Glanzzeit des Fotojournalismus : Feininger war LIFE Bildredakteur, Freund schickte Fotos über „Magnum“. Beide sind Klassiker der Fototheorie - Freud zur politischen Bedeutung des Genres, Feininger mit 32 Standardwerken, die jeder Fotograf schon mal gelesen hat. Dasselbe also und doch völlig anders. Das Konzept ist gut.

Andreas Feininger, 1906 in Paris geboren, war seit 1914 in Deutschland: Schulzeit in Zehlendorf und Weimar, Kunsttischlerstudium bei Walter Gropius (Bauhaus) in Weimar, Architekt in Dessau und Hamburg, '32/'33 schließlich Assistent von Corbusier, '33 Emigration nach Stockholm. Neben der Bauhaus-Bau

Laufbahn macht Feininger seit '28 Fotos, '41 schließlich wird er Bildredakteur bei LIFE.

Nicht nur Feiningers Geschichte ist anders als die Gisele Freunds. Auch die Fotos. Am Eingang zum zweiten „Forum„-Raum hängt eine Vierergruppe von Fotos mit Federn drauf. Die sind von '84, wenn man vorbeigeht, kitzelt es in der Nase. So klein und fein und zart und gestochen scharf ist das alles.

Danach dann eine Serie Muscheln (die sind, glaube ich, berühmt), ganz, zerbrochen, aufrecht vor einem Wolkenhimmel. „Hippiesk“, dacht ich vor dem Blick aufs Entstehungsdatum. Die Muschelsammlung ist aus den 70ern.

Überhaupt viel Struktur, viel schöne Oberfläche, zusammengeklaubt wie aus den Hosentaschen kleiner Jungs: Muscheln, Federn, Blätter, Holzrinde, Spuren von Holzwürmern darin, gefrorenes Wasser, eine glänzende Motorhaube. Dafür müßte er berühmt sein. Es riecht nach Bauhaus.

Ich mag die anderen Bilder mehr: Brooklyn Bridge im 48er Nebel (und fernwehmelancholisch denken: Woanders ist es auch grau), Rushhour in Staten Island neben dem Jüdischen Friedhof von Queens und dem Sonntags-Strand von Coney Island und dem Verkehr der 5th Avenue - Massenszenen alles, im surrelaistischen Zusammenhang.

Meine Lieblingsbilder: eine Bilderbuchmondsichel vorm Empire State (das Bild zur Gute-Nacht-Geschichte), „Chicago '42“, wo in lauter Gradlinien von altmodischen Karrossen und schnurstracksen Menschen ein Auto einfach schräg einfädelt, die restlos verqualmte Midtown von Manhatten (Hallo, Ruhrpott), die Karrusell-Lichterspurenfotos und die vom 40er Jahre New York vielleicht auch. Nicht pure Ästhetik, sondern Festhalten von Kulissen, von Augenblicken, Zeiten, Geschichten. Eine Art 'Haschmich‘ dieses fix verrinnenden Stückchen Lebens. Sagte es schon. Ich schätze so was.

ph