Wahlkampf im Endspurt

■ Das Rathaus Schöneberg rüstet sich für den Medienansturm am Wahlabend

Seit gestern ist im Rathaus Schöneberg das Wahlkampffieber ausgebrochen. Zwei riesenhafte Übertragungswagen von ZDF und ARD versperren die Fußwege zum Rathaustor. Faustdicke Kabel führen quer durch die Eingangshalle des Rathauses bis ins Kellergeschoß zu den extra eingerichteten Wahlstudios. Vor den Studios agieren die MaskenbildnerInnen. Spiegeltische wurden notdürftig aufgebaut, die Rougetöpfe und Schminkstifte fehlen noch. Dutzende von Technikern ziehen Strippen, testen Monitore, prüfen die Leitungen zu ihren Funkhäusern und kontrollieren die Rechner des „Infas -Instituts“. Die Demoskopen sind ja die eigentlichen Wahlkämpfer. Ihre letzte Umfrage, die ein knappes Ergebnis für die Regierungskoalition vorhersagte, ersparte der CDU eine letzte Mobilisierungskampagne. „Berlin darf nicht kippen“, warnt jetzt Eberhard Diepgen. Auch am Wahlabend starren alle auf die Zahlen von Infas. Pünktlich zur Schließung der Wahllokale wird die letzte Wahlumfrage, die derzeit bei 800 Leuten durchgeführt wird, veröffentlicht. Gegen viertel vor sieben werden die ersten Trendmeldungen vorliegen. Nach dem „Fairneßabkommen“ zwischen den beiden öffentlich-rechtlichen Anstalten ist es turnusgemäß die ARD, die den noch-regierenden Bürgermeister als erstes vor die Kameras bekommt.

Kurz vor sieben wird Diepgen in den Keller des Rathauses kommen. Danach Walter Momper, der Oppositionsführer. „Bloß wie“, fragte sich gestern sein persönlicher Referent, kommt Momper da runter? Die Aufzüge sind stillgelegt, das Rathaus eine große Sicherheitszone. Schleichwege in die Fraktionszimmer werden ausprobiert, Kontrollschleusen müssen passiert werden. Noch größere Probleme aber werden die über 600 akkreditierten Medienvertreter (gegenüber 144 Parlamentariern) haben, um sich einen mehr oder weniger berühmten Parteienvertreter krallen zu können. Strategisch günstig hat sich SAT 1 plaziert. Gleich neben der Treppe haben die TV-Leute ihr Kleinstudio eingerichtet. Im Erdgeschoß des Rathauses ist die schreibende Zunft zu Hause. Der Fraktionssaal der CDU wurde zum Pressezimmer umgebaut. Die Post installierte Telefon und BTX-Geräte. Eine Großleinwand überträgt alle neusten Trends aus dem Statistischen Landesamt. Wohin die 2.200 sicherheitsüberprüften Gäste, die zur Wahlparty ins Rathaus eingeladen wurden, auch blicken, sie schauen auf Bildschirme.

Von alledem werden die rund 1,5 Millionen Wahlberechtigten wenig mitbekommen. Mit ihren drei Stimmen werden sie am Sonntag zwischen acht und 18 Uhr entscheiden, wer wieviele der mindestens 119 Sitze im Abgeordnetenhaus bekommen wird. Mit der Zweitstimme wird die Partei gewählt. Die Erststimme gibt man dem Direktkandidaten. Bekommt eine Partei mehr Direktkandidaten, als es ihr von der Anzahl der auf sie fallenden Zweitstimmen zusteht, entstehen Überhangmandate. In der letzten Legislaturperiode hatte das Abgeordnetenhaus wegen der vielen Direktmandate für die CDU 144 Sitze. Mit dem dritten Stimmzettel wählt man die Vertreter für die Bezirksverordnetenversammlung. Bei der Wahl für das zehnte Abgeordnetenhaus im Jahr 1985 bekam die CDU 46,4 Prozent, die SPD 32,4, die AL 10,6 und die FDP 8,5 Prozent der Stimmen.

bf