Volks-frei-tag der StudentInnen: Überwiegend heiter

■ Stadtweit versuchten die StudentInnen, ihre Probleme an den Mann und die Frau zu bringen / Auf Dialogsuche mit dem Bürger / Vom 'Extrablatt‘ über die „Mitbestimmungsbuchstabenkette“ bis zur „Wittenbergklinik“: Die Aktionen der StudentInnen fanden Zuspruch

„Ekstraablatt! Was unsere Studenten wirklich wollen!“ Der Student, der solches brüllt, könnte es mit der Phonstärke eines jeden Marktschreiers aufnehmen. Jedoch nicht Bananen sind sein „Verkaufsschlager“, sondern eine StudentInnenzeitung, die genau danach heißt, was sie ist: 'Extrablatt‘ eben. Auf allen Straßen und Plätzen priesen StudentInnen gestern anläßlich des „Volks-frei-tages“ ihre Zeitung an, und das ganz umsonst. Ob auf dem Herrmannplatz, vor dem KaDeWe oder in der Wilmersdorfer Straße, überall versuchten die Studis ihre Probleme und Forderungen an Mann und Frau zu bringen. Neben dem „Kommunikationsmittel“ 'Extrablatt‘ setzten die HochschülerInnen bei ihrer Dialogsuche vor allem blickverfängliche Aktionen.

Auf dem Herrmannplatz schrieben die StudentInnen Mitbestimmung zur Abwechslung mal nicht nur auf Flugblätter, sondern buchstabenweise auf Bauch und Rücken. So entstand eine sogenannte Mitbestimmungsbuchstabenkette, jeder Studi ein Buchstabe. Im fliegenden Wechsel kreierten die Buchstabierer aus dem Letternfond des Wörtchen Mitbestimmung „Mut bestimmt, Miete stinkt oder Miese Stimmung“, dazu ein munteres Liedchen zur Senatspolitik auf den Lippen.

Für Aktionen musikalischer Art waren aber vor allem der StudentInnenchor der HdK zuständig. In höchsten Tönen besangen sie in der hervorragenden Akustik diverser U -Bahnhöfe Wohnungsnot und Studiensituation. Der Bevölkerung im Untergrund war's genehm - sie verweilte bisweilen andächtig vor den arienschwingenden StudentInnen.

Eine „Wittenbergklinik“ hatten Medizinstudentinnen vor dem KaDeWe konstruiert. Ganz professionell durfte sich in Freiluftatmosphäre der kreislaufgeschädigte Berliner zum Blutdruckmessen auf den Hocker setzen oder per Sehtest vor der Telefonzelle die Stärke seines Augenlichts überprüfen. „Wir fordern Mitbestimmung“ buchstabierte ein bebrillter Nerzmantel die immer kleiner werdende Schrift und freute sich: „Das kann ich ja sogar lesen, dabei bin ich kurzsichtig!“ Natürlich, den weißbemäntelten MedizinstudentInnen kam es ja auch mehr darauf an, ihre Forderungen lesbar für alle zu vermitteln. Ins Gespräch mit den Bürgern kamen sie aber auch so. Ob es der Respekt vor den Arztkitteln oder das einfache Bedürfnis war, ein offenes Ohr zu finden, die Passanten vor der „Wittenbergklinik“ waren nur zu gern bereit von ihren Sorgen und „Zipperlein“ zu berichten. „Ick krieje jetz och Kurzwelle wejen der Nerven, wa. Meenste, det is jut?“ wollte ein Opa von den „jungen“ Leuten wissen. Die antworteten nicht perfekt, aber höflich: „Kurzwellen gehören doch besser ins Radio.“

Ernster sah die Situation da schon für drei HdK -StudentInnen aus, die sich ihre Streikphotos und Wohnungsnotberichte auf Bauch und Rücken geklebt hatten und den Kudamm auf und ab spazierten. „Die Aussiedler sind schuld daran, das es keine Wohnungen gibt“, behauptete ein Herr mit Schlips und Kragen dem Trio gegenüber. Noch relativ gefaßt, versuchten die Studentinnen den „Bürger“ von seiner ausländerfeindlichen Meinung abzubringen, doch vergeblich. Böse Worte vor sich her murmelnd, ging der Mann seiner Wege. Der Dialog mit der Bevölkerung war für die StudentInnen genauso wie das Wetter an diesem Volks-frei-tag überwiegend heiter.

Christine Berger