Barmädchen und Marinesoldaten

■ Über die notorische Desinformation der amerikanischen Presse im Fall des Nahost-Konfliktes

Ich erinnere mich, daß ich beim Durchblättern einer 'Life' -Nummer vom Juli 1938 einen langen Fotobericht über Palästina fand. Mit Bildern und Worten, die eher stilistisch als inhaltlich überholt schienen, zeigte 'Life‘ die drei Bevölkerungsgruppen, die damals in Palästina lebten: Juden, Araber und Briten. Die Araber machten damals die überwältigende Mehrheit aus, die Briten waren die politischen Herren, und die Juden kamen gerade aus Europa an. Der Artikel ist den Leistungen der neuen Siedler und der hinterwäldlerischen und intoleranten Haltung der Eingeborenen gewidmet; mit ein paar Nebenbemerkungen geht er auf das Dilemma der Briten ein. (In Parenthese sei hier gesagt, daß, soweit es die westliche Presse betraf, die herrschenden Kolonialmächte immer mit „Dilemmas“ konfrontiert waren, so als hätten sie die Konflikte nicht mitverursacht. Die Briten haben diese Rolle historisch längst in Amerika weitergegeben, das ein Dilemma in Vietnam

-und bis heute im Nahen Osten und Südamerika - hatte, als sei es nie Waffenexporteur gewesen.) Auf den Schwarzweißfotografien der 'Life'-Reportage sind jüdische Arbeiter zu sehen, die in ihrer Freizeit Schach spielen. Araber sieht man auf Bänken schlafen, die Bildunterschrift nennt sie „eine Gruppe Achmeds“. Der 'Life'-Artikel war nicht untypisch, womöglich noch besser als andere.

Als ich 1972 in den Libanon kam, hatte sich nichts geändert. Während meiner Arbeit als freier Journalist stieß ich bei amerikanischen Redakteuren in diesen vier Jahren selten auf Interesse an der Situation der südlibanesischen Bevölkerung. Israelische Bombenangriffe auf ihre Dörfer, der langsame Exodus von Südlibanon in die wachsenden Slums von Beirut waren offenbar nicht vergleichbar mit so schillernden Geschichten wie Israel bedrohende „Terroristen“, entführte Flugzeuge und besetzte Botschaften. Die britische Massenpresse zeigte ein auffallendes Interesse an den englischen Barmädchen von Beirut - jedenfalls erinnere ich mich, daß die Leute von 'Daily Mail‘ und 'Daily Mirror‘ wenigstens einmal im Monat Geschichten plazieren konnten unter dem Titel „Wie die Barmädchen leben“. Auch für sie war es vollkommen unmöglich, irgend etwas über die palästinensische oder libanesische Zivilbevölkerung zu veröffentlichen.

Ich verließ den Libanon 1976 - als ich sechs Jahre später wiederkam, war die Situation immer noch fast genauso. Vielleicht waren nicht mehr so viele englische Barmädchen übrig, dafür aber war das Interesse der Redakteure nahezu ausschließlich auf die US-Marines konzentriert - nicht so sehr darauf, warum und zu welchem Zweck sie hier waren, nicht darauf, unter welchen Bedingungen sie hier täglich ihr Leben riskierten, sondern eher im alten Weltkrieg-Zwo-Stil: „Was für nette Jungs sie doch alle sind.“ Das waren sie womöglich, aber es ging schließlich um mehr. Reporter konnten über sie schreiben, was sie wollten, einschließlich ihrer Verpflegung, aber Geschichten über israelische Todesschwadrone, die die shiitische Bevölkerung aufhetzten und die Präsenz der Marines damit unhaltbar machten, wurden selten in den USA gedruckt oder gesendet. Tatsächlich muß man Robert Fisks Artikel in der Londoner 'Times‘ von 1983 und 1984 lesen, um überhaupt etwas über die zivilgekleideten Shin-Beith-Männer zu erfahren, die in den Dörfern und Lagern Südlibanons ihnen verdächtige Personen ermordeten. Ignoriert wurden auch die Korruption der libanesischen Regierung, Folterungen, die diese Regierung gegen ihre Opponenten einsetzte, die völlige Blindheit amerikanischer Politik, die so die Regierung unterstützte, und zwar ohne sich der Kooperation Syriens oder wenigstens der Hälfte der libanesischen Bevölkerung dabei zu versichern. Was wir gerade noch berichten durften - wenn auch sehr viel weniger detailliert als die europäische Presse -, war der Konflikt zwischen der PLO und Syrien, der im Rausschmiß der Arafat -Anhänger aus Tripolis kulminierte.

Die Story der Marines dominierte die Libanon -Berichterstattung bis zur ihrem abrupten Abzug 1984, dann versiegten die Nachrichten fast vollständig. Inzwischen ist es für amerikanische Korrespondenten zu gefährlich geworden, sich in West-Beirut aufzuhalten - also hört man kaum was von dort. So ist die amerikanische Öffentlichkeit ebenso schlecht unterrichtet wie die Marines, die mir damals erzählten, sie wären im Libanon, um das Land vor den Kommunisten zu schützen. (Noch etwas in Parenthese: Die einzigen Marines, die begriffen zu haben schienen, wofür sie da waren, waren die Schwarzen. Fast alle sagten, nur leider nie vor der Kamera, sie seien dort, um die Reichen vor den Armen zu schützen. Die einzigen Libanesen, mit denen sie sich identifizierten, waren die shiitischen Flüchtlinge, die in großer Armut um die Base herum lebten. Traurig ist, daß es vermutlich einer von diesen Shiiten war, der - ermutigt durch syrische und iranische Politik - 241 Marines am 23.Oktober 1983 mit einer Bombe tötete. George Bush hat gesagt, er nähme gern die Verantwortung für alle Fehlschläge der Reagan-Regierung auf sich, wenn man ihm auch nur die Hälfte ihrer Erfolge zugestehe; man sollte ihn an diese 241 amerikanischen Soldaten erinnern, die für eine konfuse und unüberlegte Politik starben, deren Sinn weder der amerikanischen Öffentlichkeit von ihrer Presse klargemacht werden konnte noch den Marines selber von ihren Offizieren.)

Sind es die Libanesen oder die Palästinenser, die Jordanier, Syrer oder Israelis, die unter der schlechten Berichterstattung über die Welt, in der sie leben, zu leiden haben? Ich glaube, daß Sie es sind, die amerikanische Öffentlichkeit, die ihr Weltbild auf unzureichenden Informationen aufbaut. Ebenso wie ich glaube, daß es die britische Öffentlichkeit ist, der das amtliche Verbot, „Sinn -Fein„-Mitglieder und -Sympathisanten in Radio und Fernsehen auftreten zu lassen, böse mitspielen wird, und nicht der IRA. Es ist die Öffentlichkeit, die Schaden leidet, wenn ihr der Zugang zu Informationen und abweichenden Meinungen abgeschnitten wird. Und besonders ernst wird es in einer Demokratie, in der Bürger die Pflicht haben, sich zu informieren über Angelegenheiten, in denen ihnen eine wichtige Stimme zukommt. Die Vereinigten Staaten haben eine entscheidende, oft mißbrauchte und mißverstandene Rolle im Nahen Osten zu spielen, genau wie die Briten vor 50 Jahren. Wenn Amerikas imperiale Zeit einmal verstrichen ist - und sie verstreicht in dem Maße, wie sich das Land mehr und mehr verschuldet und an der Welt jenseits der Ozeane das Interesse verliert -, mag es nicht mehr so wichtig sein, ob ihre Bürger wenig oder viel über die Regionen wissen, die unter dem Einfluß ihres Landes stehen. Aber man wird einmal ein hartes Urteil fällen müssen über dieses Land, über seine freie Presse und vielleicht sogar über das System der Demokratie, wenn die Bürger dieses Landes sich die Wahrheit über das, was in der Welt vor sich geht, vorenthalten lassen und ihre Regierung weiterhin nicht drängen, nicht länger Kriegstreiber zu sein und Friedensstifter zu werden.

Charles Glass

Ein Ausschnitt aus der (edierten Fassung einer) Rede, die der ABC-Television-Korrespondent auf einem Symposium über das Thema „Medien und Naher Osten“ hielt.

Glass war im Juni 1987 im Libanon entführt worden und hatte sich nach 62 Tagen selbst befreit. So zumindest seine Version der Geschichte.