Marokkos Intellektuelle im Gefängnis: Abdelkader Chaoui/Driss Bouissef Rekab/Mouchtari Belabas/Abdefatah Fakihani/Ali Idrissi Kaitoum

In Marokko sind sehr viele Intellektuelle aufgrund ihres politischen Bekenntnisses im Gefängnis. Etwa 30 Menschen, verhaftet zwischen 1974 und 1976, sitzen im Kenitra -Gefängnis außerordentlich harte Strafen ab, die von 20 Jahren bis zu lebenslangem Freiheitsentzug reichen. Ihr einziges Verbrechen: sich gegen soziale Ungerechtigkeit ausgesprochen und darüber geschrieben zu haben. Nach ihrer Verhaftung wurden sie in das berüchtigte Derb-Moulay-Cherif -Haftzentrum gebracht, in dem man sie monatelang mit gefesselten Händen und verbundenen Augen, hielt, zeitweise wurden sie gefoltert.

Um überhaupt die Anberaumung eines Prozesses zu erreichen, organisierten sie einen Hungerstreik, der 17 Tage dauerte. Der schließlich stattfindende Prozeß genügte jedoch keineswegs den international anerkannten Standards von Unabhängigkeit und Rechtsmäßigkeit - folglich wurde nicht einer der 137 Angeklagten freigesprochen (Frontisten -Massenprozeß 1977 in Casablanca). Die Rechtsanwälte, die mutig genug gewesen waren, ihre Verteidigung zu übernehmen, wurden von den Behörden eingeschüchtert und unter Hausarrest gestellt. Einer der Verhafteten, der Lyriker Zeroual Abdellatif, starb noch vor Beginn des Prozesses an seinen Folterverletzungen. Unter den bis heute Festgehaltenen sind:

Abdelkader Chaoui, (38), Lehrer und Lyriker. Als Literaturkritiker, Essayist und Zeichner ist er einer der bekanntesten Vertreter der marokkanischen Kultur. Vor seiner Verhaftung 1974 wurden seine Artikel - meist mit politischer Thematik - in führenden Zeitschriften des Landes wie 'Anfas -Souffles‘ veröffentlicht. Während seiner Haft, in der er als Bibliothekar der Gefängnisbibliothek arbeitet, veröffentlichte er Le Pouvoir du Realisme, Le Texte Organique und auf Arabisch seine Biographie mit dem Titel Kana Wa Akawata (grob übersetzbar als „Brüder sein“); in ihr sind Szenen des Massenprozesses von 1977 beschrieben. Nach Erscheinen wurde das Buch sofort verboten.

Driss Bouissef Rekab, (40), Universitätsdozent für Spanisch. Verhaftet 1976. Unter den harschen Bedingungen der Haft schloß er seine Studie über das Bild des Spanischen Bürgerkrieges in der spanischen Literatur ab. Seine Entlassung ist datiert auf das Jahr 1996.

Mouchtari Belabas, Dichter und Philosoph, spezialisiert auf moderne arabische Philosophie. Er wurde 1976 verhaftet und zu lebenslanger Haft verurteilt.

Abdefatah Fakihani, Französischlehrer, Lyriker und Verfasser von politischen Analysen. Er ist jetzt Ende 30 ebenfalls zu lebenslanger Haft verurteilt.

Ali Idrissi Kaitoum, Lyriker. Er ist etwa 30 Jahre alt und wurde 1981 verhaftet, direkt nach der Veröffentlichung eines Gedichtbandes. Das Buch wurde sofort nach der Auslieferung in die Buchhandlungen beschlagnahmt; wenige Gedichtzeilen, die als subversiv qualifiziert wurden, hatten genügt. Wegen Verleumdung des Königs erhielt er eine Strafe von zehn Jahren Freiheitsentzug.

Im Januar 1984 hatten friedliche Demonstrationen gegen erhöhte Lebensmittelpreise heftige Repressionen zur Folge, die dann wiederum gewaltsame Unruhen auslösten. Mehrere hundert Menschen wurden dabei getötet - viele von ihnen unbeteiligte Passanten -, als Soldaten von Hubschraubern aus mit Maschinengewehren in die Menge feuerten. Die Behörden nutzten die gespannte Lage sofort aus und verhafteten unter anderem Intellektuelle, deren kulturelle Aktivitäten in Filmclubs und anderen Organisationen ihnen schon lange ein Dorn im Auge gewesen waren.

Viele der Verhafteten, darunter auch Personen, die sich am fraglichen Tag weit von den Straßenkämpfen entfernt aufgehalten hatten, wurden zu 20 Jahren Haft verurteilt. Wissenschaftliche Zeitschriften, deren Aufmerksamkeit historischen, soziologischen und künstlerischen Fragen galt, wurden verboten: 'Al Badil‘, 'Al Jossur‘, 'Al Mogadima‘, 'Azzaman Al Maghrebi‘.

Eine weitere Zeitung erregte Anfang der achtziger Jahre den Widerwillen der Behörden: 'Amazig‘, eine von marrokanischen Berbern edierte Publikation. Ihr Hauptanliegen war die Förderung der Berber-Kultur und die Erforschung von Geschichte und Sprache der Berber. Warum sie verboten wurde? Sedki, ein Dozent für Berbergeschichte, hatte in einem Artikel den Vormarsch der Araber in das von Berbern bewohnte Nordafrika im 17.Jahrhundert als „arabische Invasion“ bezeichnet, während die offizielle Terminologie die Ankunft der Araber zum Anbruch von Erleuchtung und Toleranz durch den Islam in einer bis dahin unzivilisierten Eingeborenenkultur erklärt hatte.

Die Behörden nahmen sich diese „verleumderischen Ergüsse“ Sedkis zum Anlaß, um eine seit langem von ihnen mißtrauisch beäugte Publikation zu verbieten; der Autor wurde zu einem Jahr Gefängnishaft verurteilt

Joyce Edling