Viererbande kontrolliert Euro-TV

■ Europas Bürokraten kapitulierten vor den Kabel-Tycoons Berlusconi, Kirch, Maxwell und Murdoch / Publikum aber recht lustlos

Teil 3: Von William Fisher und Mark Schapiro

Wie wilde Tiere an der Wasserstelle, die sich gegenseitig verdrängen wollen, gehen die vier Mediengiganten, ein gebürtiger Tscheche (Robert Maxwell), ein Australo -Amerikaner (Rupert Murdoch), ein Deutscher (Leo Kirch) und ein Italiener (Silvio Berlusconi) miteinander um. Ihr Kampf geht um die günstigste Ausgangsposition in der künftig deregulierten Fernsehindustrie Europas. Wenn sich Ende 1992 die Grenzen öffnen, wird Europa mit zwölf Ländern und acht verschiedenen Sprachen über den umfangreichsten Fernsehmarkt der Welt verfügen - ein Zuschauerpotential, größer als das der Vereinigten Staaten und Japan zusammen.

Kultur untergeordnet

Unter dem Druck, mit fast täglichen Änderungen im Rundfunkwesen Schritt zu halten, entwirft nun in Brüssel das Direktorat Kommunikationssysteme der Europäischen Gemeinschaft eine sogenannte „Direktive“, die unter dem Motto „Fernsehen ohne Grenzen“ in den 90er Jahren grenzenübergreifende Übertragungen erleichtern soll. Diese Direktive wird bestehende Gesetze, die bis dato noch nationale Fernsehanstalten vor ausländischer Konkurrenz schützen, außer Kraft setzen.

In der Zwischenzeit ist die Anzahl der Medienfirmen erheblich gestiegen, die Zahl der Betreiber allerdings blieb konstant. Das illustre Quartett Maxwell, Murdoch, Kirch und Berlusconi befindet sich in der globalen Konzentration der Kommunikationsindustrie an vorderster Front. Zur Zeit sind sie dabei, ihre Einflußsphären zu verteilen und Joint -ventures zu gründen, die ihnen die Kontrolle über die meisten dieser Rundfunk-, Kabel- und Satelliten-Netzwerke sichern dürften. Ihre Bemühungen haben das Placet der Gemeinschaft erhalten.

„Dem Problem zugrunde liegt das Bemühen um freie Zirkulation von Waren und Dienstleistungen“, sagt Ulf Bruehann, einer der Autoren der Direktive und Chef der Abteilung „Industrielle Angelegenheiten“ des EG -Kommunikationsdirektorats. Aber wegen der Bedeutung des Freihandels werden kulturelle Identität und Qualität bei der Entscheidungsfindung der Kommission immer eine untergeordnete Rolle spielen.“

In dem Maße, wie die Rolle des Staates abnimmt, spielt sich die „Viererbande“ der Medienwelt vermehrt auf als führende Kraft hinter Europas neuer Bewußtseinsindustrie: Der ungestüme Robert Maxwell führte in jüngster Vergangenheit eine Medienkampagne, im Zuge derer er sich selbst als telekommunikativer Visionär, der für ein „Neues Europa“ wirbt, präsentierte. Maxwell, der sich stark macht für eine europaweite Quote zur Begrenzung ausländischer Produktionen, verkündet jedem, der es hören will, daß „wir Herr in eigenem Hause bleiben werden. Wir werden eine Dominanz durch die USA nicht hinnehmen.“ (Was er nicht verkündet, ist die Tatsache, daß er durch seine Beteiligungen an Produktionsanlagen selbst einer der Hauptanbieter solchen Angebots sein wird).

Seine Strategie beinhaltet den Erwerb von Teilen bestehender Anstalten - ihm gehören 20 Prozent des britischen „Central Television“, zwölf Prozent von Frankreichs TF 1, zehn Prozent von „Canal 10“, eines neuen Satellitenkanals, der Spanien bedient und gerade den Betrieb in Portugal und der Bundesrepublik vorbereitet. Maxwell hat darüber hinaus große Interessen bei „MTV-Europe“ (Musik -Kanal) sowie beim neuen Spielfilm-Kanal „Premiere“.

Rupert Murdoch, berüchtigt wegen gewaltsamer Änderungen der Anti-Monopolgesetze in seinen Hauptoperationsgebieten, den USA, Großbritannien und Australien, hat seine eigenen Spielregeln festgelegt am bisher nichtkartographierten Firmament der Satellitenübertragung. Er hält einen 90prozentigen Anteil an Sky Channel, einer Mischung aus US -amerikanischen Serien, Rockvideos und Talkshows, die nach Großbritannien, Belgien, Skandinavien die Niederlande, und in die Bundesrepublik übertragen werden.

Murdochs Medienstrategie besteht darin, ein integrales Zulieferernetz für seine Fernsehunternehmungen zu schaffen. Seine Kontrolle über Twentieth Century Fox (der Tausenden von Programmstunden und Spielfilmen, die Murdochs europäische Firmen beliefern, gehören) und seine 50 Prozent Anteile an einem Joint-venture mit der britischen Elektronikfirma Amstrad, dem Produzenten der Satellitschüsseln, die Murdochs Programme empfangen, bedeuten, daß sein Fernsehimperium in einem Vertriebs- und Verteilungssystem integriert ist, das dichter ist als das aller seiner Konkurrenten.

Im vergangenen Sommer kündigte er an, daß er vier neue Kanäle lancieren werde auf dem ASTRA-Satellit, einschließlich Sky Channel: SkyNews, ein 24-Stunden -Nachrichten-Programm, das im wesentlichen zehrt von der Arbeit von Journalisten seines führenden Printmediums, der 'London Times'; Sky Movies, das sich größtenteils stützen wird auf die umfangreiche Filmbibliothek von Twentieth Century Fox; und ein Sport-Kanal, zur Zeit Gegenstand eines von Konkurrenten angestrengtes Anti-Trustverfahrens. Obwohl alle europäischen Murdoch-Sendungen in Zukunft via ASTRA übertragen werden, hält er einen strategisch wichtigen Teil am ASTRA-Konkurrenten, „British Satellite Broadcasting“ (BSB). Auf diese Weise sind Murdochs Konkurrenten gezwungen, in dieser oder jener Weise mit ihm Geschäfte zu machen: Wenn sie keine Geschäftspartner sind, müssen sie entweder für ihre Übertragungen Satelliten in Anspruch nehmen, die zum Teil Murdoch gehören, Rechte an Programmen erwerben, die Murdoch kontrolliert oder die Technologie benutzen, die Murdoch gerade entwickelt, um ihre Programme zum Konsumenten zu bringen.

Leo Kirchs Beta-Taurus-Gruppe ist der größte Käufer und verkäufer von Programmen in Europa. Anders als seine Kollegen, die über den gesamten europäischen Kontinent Besitzanteile erworben haben, hat Kirch eine konkurrenzlose Bastion in der Bundesrepublik errichtet, wo er systematisch die Rechte an etwa 15.000 Features (einschließlich drei Vierteln des Variety's Top 25) und 50.000 Stunden deutschsprachiger Programme fest in seiner Hand hält.

Auf der Grundlage seines Produktionskonglomerats erwarb Kirch im Frühling 1988 die Kontrolle über das größte private Netzwerk der Bundesrepublik, SAT 1 (eine Übernahme, die zur Zeit Gegenstand einer Untersuchung nach Begünstigung an der Frankfurter Börse ist). Kirchs Medienimperium ist ein klassisches Beispiel „vertikaler Konzentration“ (möglichst viele Produktionsschritte eines Endproduktes unter einem Besitzdach). Er ist sich selbst der beste Kunde: Obwohl SAT 1 lange Zeit ein Zusatzgeschäft darstellte, haben Kirchs Profite aus einer SAT1-Tochtergesellschaft, die seine Programme kauft, die entsprechenden Verluste ausgeglichen ein vorzügliches Beispiel potentieller Machtfülle eines voll integrierten Medienimperiums.

Italiens Reichster

Silvio Berlusconi, angeblich der reichste Mann Italiens, ist der erste Fernsehmagnat, der ein öffentliches Fernsehmonopol erfolgreich durchbrochen hat. Er umging das italienische Verbot eines landesweiten Privatnetzwerks, indem er eine Kette lokaler Stationen gründete, sie via Satellit mit einander verband und deren Programmangebot auf einander abstimmte. Und Berlusconis drei Netzwerke haben einen in Europa beispiellosen Erfolg zu verzeichnen: 60 Prozent von Italiens Werbeeinnahmen wandern in Berlusconis Taschen. Mit Hilfe seines unnachahmlichen Programmkonzepts schaffte er es, Italiens jahrhundertealte Kulturtradition auf das Niveau US-amerikanischer Seifenopern, brasilianischer Abenteuerfilme, Teleshopping und Sexphantasien anheizende Videospiele herunterzuwirtschaften und damit die staatliche Fernseh- und Rundfunkanstalt RAI zu zwingen, ihrerseits mit Sendungen dieses Formats aufzuwarten.

In Frankreich ist Berlusconi führender Partner der neuen Station „La Cinq“. In der Bundesrepublik gehören ihm 45 Prozent von Tele 5, der bald landesweit senden wird. Darüber hinaus besitzt er größere Anteile in Spanien, Portugal, Tunesien und Jugoslawien. Berlusconis Unternehmen ist außerdem Europas exklusiver Werberepräsentant für das sowjetische Fernsehen.

Obwohl die Befürworter des kommerziellen TVs die neue Ära abnehmenden politischen Einflusses über die Medien bejubeln, war der Effekt in der Vergangenheit oft ein gegenteiliger. Denn die politischen Führer Europas beeilen sich, ihre Verbündeten in Kontrollfunktionen über die Frequenzen des Kontinents zu hieven. Die vier neuen Titanen des Satellitenzeitalters haben indes selbst eine äußerst politische Biographie: Kirch und Murdoch auf der rechten, Maxwell und Berlusconi auf der linken Seite des politischen Spektrums. Berlusconi zum Beispiel erfreute sich der Protektion seines Sandkastenfreundes und späteren sozialistischen Premierministers Bettino Craxi, der schlichtweg kurz wegschaute, als Berlusconi die Senderestriktionen mit Füßen trat und seine privaten Netzwerke gründete. Robert Maxwell, ein früheres Parlamentsmitglied der britischen Labour-Party, hat sich in die Gunst des französischen Staatspräsidenten Mitterrand eingeschlichen. Der half Maxwell bei seinem geschmeidigen Eintritt in den französischen Fernseh- und Zeitungsmarkt. Murdoch konnte bei seinen Bemühungen, die Anti -Monopolgesetze zu umschiffen, auf die Unterstützung von Margret Thatcher bauen. Ihre Anti-Monopolkommission beschied unlängst Murdochs Erwerb von 20 Prozent der Pearson-Gruppe, die unter anderen Druckerzeugnissen auch die 'Financial Times‘ herausgibt, positiv. Und Leo Kirchs Aufstieg in der Bundesrepublik vollzog sich mit tatkräftiger Unterstützung des Franz Josef Strauß sowie des Innenministers, dem die öffentlich-rechtlichen Anstalten hierzulande unterstehen.

Obwohl sie häufig als Rivalen betrachtet werden, ist das Bild eines Titanenkampfes zwischen diesen vier Mediengiganten größtenteils irreführend. Häufig überschneiden sich ihre Interessen von Land zu Land. In manchen Ländern sind sie Konkurrenten, in anderen kooperieren sie. In der Bundesrepublik besorgt Leo Kirch in Zusammenarbeit mit seinem wichtigsten Rivalen im Bereich Fernsehen, dem Medienkonglomerat Bertelsmann, dem das andere deutsche Privatnetzwerk RTL Plus gehört - die Kabelvertriebsorganisation. Dabei handelt es sich um das einzige landesweite Kabelsystem der Bundesrepublik. In Großbritannien teilen sich Maxwell und Murdoch den Einsatz im neuen Satelliten-Filmkanal „Premiere“.

Freund-Feind-Verhältnis

Auch finden sich Berlusconi, Kirch und Maxwell zusammen im Europäischen Produktionskonsortium - gegründet, um europäische Co-Produktionen zu fördern, die jeder Partner auf seinem jeweiligen Territorium ausbeuten kann.

Während der private Sektordieses Dickicht aus Mischanteilen kultiviert, umschifft das geltende Gesetz in Brüssel die Frage der Konzentration völlig. „Es hat keinen Sinn, sich mit diesen größeren Verbänden zu schlagen“, sagt Mariano Maggiore, Chef der Audiovisuellen Produktionsabteilung für die Europäische Kommission. „Nichts sähe ich lieber als eine Anti-Trustklausel. Ich glaube aber nicht, daß irgendjemand die Kraft hat, sich mit ihnen anzulegen. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Tatsächlich beschäftigt das tapfere Direktorat der Europäischen Kommission, die die konzentrierenden Praktiken im Auge behalten soll, sieben Juristen, um die mehr als 1.500 Übernahmen, die in Europa im vergangenen Jahr stattgefunden haben, zu überwachen.

Schlaffes Publikum

Während die Vorstellung des „Elektronischen Dorfs“ Europa attraktiv ist für EG-Gesetzgeber und Medienmagnaten, teilt das europäische Publikum diesen Enthusiasmus lange nicht immer. Obwohl die Einschaltquoten in den vergangenen drei Jahren explodierten, bevorzugten Publikum und Werbeagenturen die nationalen Anstalten und lehnten transeuropäische Produktionen ab. Eine Marktuntersuchung über Sky Channel hat gezeigt, daß der durchschnittliche deutsche Fernsehzuschauer diesen Kanal für genau 30 Sekunden angewählt hatte - lange genug, um den Kanal zu wechseln. Rupert Murdoch hat in den letzten fünf Jahren mit diesem Kanal 50 Millionen Dollar verloren, und sein wichtigster Rivale, Super Channel, wurde vor kurzem für den symbolischen Betrag von einer Lire nach Italien verkauft. Größter Stolperstein für diese Kanäle waren die linguistischen und kulturellen Unterschiede des jeweiligen Publikums sowie die Weigerung von Werbebranchen, ein in ihren Konsumgewohnheiten unterschiedliches Publikum anzusprechen.

Während diese Feststellung darauf hinausliefe, daß die Zuschauer noch zu sehr an ihren hausgemachten TV -Produktionen hängen, sehen die heutigen EG-Vorschläge keine Maßnahmen vor, die die Rechte von Ländern wie Belgien, Dänemark und den Niederlanden schützen könnten, deren öffentlich-rechtlicher Rundfunk Garant der Kultur dieser Länder ist. Richard Schoonhoven, Mediendirektor der KRO-TV, eines der führenden öffentlichen Stationen in den Niederlanden, meint: „Eine Gesellschaft des Öffentlichen Rechts mit all ihren rechtlichen, finanziellen und zeitlichen Restriktionen sowie ihrer programmgebundenen Verpflichtungen - teure Programme für kleine Gruppen - kann beim besten Willen nicht konkurrieren mit einem Programmhändler, der nur nach Marktgesichtspunkten arbeitet.

Nach den Worten von Holde Lhoest, ehemaliger leitender Angestellter des belgischen und deutschen öffentlichen Fernsehens und heute Direktor des Medienprogramms der Europäischen Gemeinschaft und dennoch einer der Kritiker der Direktive aus dem Innern der Europäischen Kommission, „wurde die Direktive von Juristen geschrieben, die noch nie einen Fuß über die Schwelle eines Studios gesetzt haben. Für sie genießt die grundlegende Philosophie eines großen Binnenmarktes höchste Priorität... Keine Frage, daß mit Hilfe dieser Direktive das Fernsehen in den kleinen Ländern schlicht von der Bildfläche verschwinden wird.“