Mit religiösen Gefühlen im politischen Einsatz

Britische Mullahs lassen Moslems in London gegen die Meinungsfreiheit marschieren / Neue Demonstrationen gegen den angeblich blasphemischen Roman „Satanische Verse“ von Salman Rushdie / Verkaufszahlen schnellen nach oben  ■  Aus London Rolf Paasch

Ausgerechnet von Speaker's Corner, jenem berühmten Ende des Londoner Hyde Parks, wo immer noch jeder seine Meinung sagen darf, wollen sie losmarschieren. Von hier aus werden heute mehrere tausend britische Moslems unter der Führung ihrer Mullahs vor das Verlagshaus der „Penguin Publications“ ziehen, um dort für ein Verbot der Satanischen Verse zu demonstrieren, jenes Romans, dessen „blasphemische“ Traumsequenzen die Mullahs zwischen Riad, Islamabad und Bradford in religiöse Rage versetzt hatten. Ihr heiliger Prophet Mohammed - der sich selbst nur als Boten, aber nie als Heiligen gesehen hat - dessen Begleiter, Frauen und die Stadt Mekka, so lautet der Vorwurf, würden in den Satanic Verses des Autors Salman Rushdie verunglimpft und diffamiert.

Rushdies fiktive Humanisierung Mohammeds hat jetzt die moslemische „Gedankenpolizei“ (Rushdie) aktiviert. Nachdem das Buch schon in Saudi Arabien, Indien und Pakistan verboten worden war, nahmen schließlich auch die britischen Moslems Anstoß und ließen vor zwei Wochen in der nordenglischen Immigrantenmetropole Bradford eine Kopie des literarischen „Teufelswerks“ öffentlich verbrennen. Als daraufhin die größte Buchladenkette Großbritanniens ankündigte, sie werde den Roman bis zum Monatsende aus dem Sortiment nehmen, war die politische Verwirrung über die verletzten Gefühle der moslemischen Minderheit Großbritanniens perfekt. Rechte Konservative traten plötzlich für den Erhalt der Meinungsfreiheit ein und verteilten in Bradford Flugblätter für einen „Immigrantenstopp“. Linke Labour-Abgeordnete wie der schwarze Bernie Grant forderten dagegen die Ausweitung des bisher nur für Christen anrufbaren britischen Blasphemie -Gesetzes auf alle Religionsgemeinschaften. Auch der ebenfalls linke, moslemische Ex-Bürgermeister von Bradford verteidigte in der taz (vom 19.Januar) die Proteste der rund 50.000 Seelen starken indo-pakistanischen Gemeinde.

„Die britische Linke hat den Angriff auf die Meinungsfreiheit aus Angst, rassistisch zu erscheinen, widerstandslos hingenommen. (...) Und die fortschrittlichen Pakistani und Inder Großbritanniens schweigen, weil sie die asiatische Gemeinde nicht spalten wollen“, so kommentierte der Politik-Professor David Selbourne jetzt die verwirrenden religiös-politischen Quer-Allianzen im Streit um die Satanischen Verse. Seit Beginn der Auseinandersetzungen um den „blasphemischen“ Roman haben Großbritanniens Mullahs die sensitiven religiösen Gefühle der moslemischen Minderheit auf der einen und die falsche Rücksichtnahme der liberalen Öffentlichkeit auf der anderen Seite geschickt ausgenutzt. Nachdem die für ihren aus dem Punjab importierten, hinterwäldlerischen Dorf-Islam berüchtigten Imams aus Bradford den Streit um Rushdies Roman vom Zaun gebrochen hatten, ist längst das gesamte Mullah-Netzwerk Großbritanniens in den Glaubenskrieg um die Zulässigkeit der literarischen Vision über die Ursprünge des Islam eingestiegen. Während der „Islamic Defence Council“ die Demonstration im Hyde Park organisiert hat, konzentriert sich das neu gegründete „Action Committee on Islamic Affairs“ darauf, moslemische Staaten im Nahen Osten zu einem Importverbot für alle Bücher des Penguin-Verlags sowie der Einfrierung von dessen Guthaben in den jeweiligen Ländern zu überreden. Die „Islamische Gesellschaft für die Förderung religiöser Toleranz“ beschickt unterdessen die Leserbriefspalten britischer Zeitungen mit Meinungen, die ihrem verpflichtenden Namen Hohn sprechen. Finanziert werden diese Kampagnen, so glaubt Rushdie, durch die aus saudischen Quellen gespeiste Moschee am vornehmen Regent's Park sowie vom „Muslims Education Trust of Yussuf Islam“ (in seinem früheren Pop-Leben „Cat Stevens“ genannt). Erfolg haben die Eiferer mit ihren Protesten bisher allerdings keinen gehabt.

Obwohl die wenigsten der Demonstranten das 547seitige „Teufelswerk“ gelesen haben dürften, sind die Verkaufszahlen für die Satanic Verses seit Beginn der Proteste in die Höhe geschnellt. Sogar W.H. Smith, die eingangs erwähnte Buchladenkette, hat neue Lieferungen des auf Platz sechs der Bestsellerliste rangierenden Werkes bestellt. Untergegangen in dem Streit um die religiöse Akzeptabilität der Satanischen Verse ist auch die Tatsache, daß Rushdies Roman in großen Teilen eine scharfe Satire auf den britischen Rassisums gegenüber den Immigranten vom indischen Subkontinent darstellt. Es ist schon eine makabre Ironie, daß ausgerechnet der erste Schriftsteller, der der indo -pakistanischen Einwanderergemeinde in Großbritannien im Kampf gegen den alltäglichen Rassismus in ihrer neuen Heimat eine literarische Stimme verleiht, nun Opfer der religiösen Eiferer im eigenen Lager wird. „Ich muß zuschauen“, so Rushdie, „wie mein Buch ungelesen von denen verbrannt wird, von denen es handelt und die sich mit einigem Vergnügen hätten wiedererkennen können .