Unternehmerfixierte Politik

Willi Hoss, sozialpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion in Bonn, zu Lafontaine  ■ I N T E R V I E W

taz: Was hast Du gegen Lafontaines Forderung nach Freigabe der Sonntagsarbeit?

Hoss: Mittlerweile geht mir das, was Lafontaine macht, auf den Wecker. Anfänglich hat er im Zusammenhang mit der Debatte über Arbeitszeit, Massenarbeitslosigkeit und Lohnumverteilung innerhalb der abhängig Beschäftigten Dinge vorgetragen, die ich nach wie vor unterstütze. Was er jetzt macht, geht entschieden in die Richtung einer Politik, wie die Unternehmer sie wollen. Das hängt mit Europa 92, der erheblichen Verschärfung der Konkurrenzsituation und dem Interesse des deutschen Kapitals zusammen, auf diesem Markt erster zu bleiben und diese Position auszubauen. Da ist das Problem der Maschinenlaufzeiten. Hier stehen die Interessen der Menschen gegen die Kapitalinteressen. Und da nimmt Lafontaine Partei für die Unternehmer.

Warum sollten Leute, die das wollen, nicht sonntags arbeiten?

Lafontaine spielt den individuellen Freiheitsbegriff aus, überhöht ihn und setzt ihn in Gegensatz zu einem Freiheitsbegriff, der auch eine gesellschaftliche Bedeutung hat. Es ist ganz offensichtlich: wenn man eine gesetzliche Norm schafft, die Sonntagsarbeit zu erleichtern, dann schlagen überall die Interessen der langen Maschinenlaufzeiten durch.

Du hast jetzt nur den Sonntag besonders hervorgehoben.

Der Samstag ist auch zu verteidigen. Wenn ich höre, was zu Europa '92 gesagt wird, dann geht es nur noch um mehr Wachstum. Schon deshalb lehne ich eine Ausweitung der Produktion auf das Wochenende, ein Mehr an materiellen Dingen, die wir nicht mehr unter Kontrolle haben, ab.

Wie könnte sich das Grundmotiv möglichst weitreichender individueller Freiheitsrechte in bezug auf die Arbeitszeit umsetzen?

Das Wichtigste sind die Interessen des einzelnen. Er soll er über die durch Arbeitszeitverkürzung gewonnene Zeit selbst verfügen können, damit er seine Bedürfnisse nach Kindererziehung, kultureller Betätigung einfordern kann. Lafontaines Forderung nach Sonntagsarbeit widerspricht dem.

Lafontaine auf dem Weg von den Grünen zur FDP?

Ich sehe das eingeordnet in die großen Überlegungen für die nächste Bundestagswahl. Er rechnet sich aus, an der rechten Seite der SPD Türen zu öffnen, sich dort zu präsentieren als ein vernünftiger und verständiger Mann. Daß er das auf Kosten der kleinen Leute, auf Kosten dessen, was bisher erreicht worden ist, tut, ist ein Jammer.

Interview: Martin Kempe