piwik no script img

Staatsterror in den kurdischen Bergen

■ Menschenrechte unter dem Soldatenstiefel / Anti-Folterkonvention bleibt in der Türkei ein Stück Papier

Nach amnesty international legt jetzt auch die UNO einen Bericht über die verheerende Situation der Menschenrechte in der Türkei vor. In dem bislang unveröffentlichten Report für die UNO-Menschenrechtskommission heißt es: Folter ist nach wie vor aktuell. Eine vorsichtige Wertung, wie der Vorfall in Yesilyurt zeigt.

Kaum jemand in der Türkei kannte bis vor kurzem den Namen Yesilyurt - ein 2.000-Seelen-Dorf mit 120 Häusern nahe der irakisch-türkischen Grenze. Seit Tagen geistert Yesilyurt durch die Schlagzeilen der türkischen Presse und ist zum Symbol geworden: für staatlichen Terror, für die Mißachtung elementarer Menschenrechte, für die Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung. Die Ereignisse im Dorf in der Nacht vom 14.Januar auf den 15.Januar sind gespenstisch. Wären nicht die erdrückenden Beweise und die Zeugenaussagen der Dorfbevölkerung, könnte man Yesilyurt für eine Fiktion halten.

Um zwei Uhr morgens wird das Dorf von Soldaten und Anti -Terror-Einheiten umzingelt. „Wer rausgeht, wird erschossen“, verkünden die Megaphone der Armee. Unter den Maschinengewehrschüssen der Jandarma versinken in der Ferne angeblich drei Terroristen im Schnee. Die Strafe, die die Dorfbevölkerung für die Beherbung der drei Terroristen zahlen mußte, beschreibt der Dorfvorsteher Abdurrahman Müstak: „Sie sagten, drei Terroristen seien geflüchtet. Männer, Frauen, Kinder mußten sich auf dem Dorfplatz versammeln. Sie beschimpften uns: 'Ihr füttert die Kurdische Arbeiter- und Bauernpartei (PKK), ihr seid Feinde, wir werden euer Dorf dem Erdboden gleichmachen‘. Alle Männer des Dorfes mußten sich bäuchlings auf den Schnee legen. Stundenlang trampelten Soldatenstiefel auf unseren Rücken. Dann trugen sie Menschenfäkalien zusammen. Mein Onkel Kamil Müstak, ein alter Mann, und sein Sohn Bahattin Müstak wurden gezwungen, die Fäkalien zu essen. Kamil Müstak und Ahmet Kaya wurden barfuß im Schnee sieben Kilometer bis zur Provinzstadt Cizre getrieben“. Der Dorfvorsteher ist ein Mann, der an den türkischen Rechtsstaat glaubt. „Nie habe ich den Staat beschuldigt, aber alles hat seine Grenzen.“ Die Zwangsfütterung seiner Familienangehörigen mit Exkrementen hat ihn bewogen, das Schweigen zu brechen.

Nach dem Überfall auf das Dorf stellte sich heraus, daß die „Operation der Sicherheitskräfte gegen Separisten und Terroristen im Dorf Yesilyurt“ - so der offizielle Jargon im staatlichen Funk und Fernsehen - völlig absurd war: Die drei vermeintlichen, auf der Flucht erschossenen „Terroristen“ waren Esel. Genauer: Ein ausgewachsener Esel und zwei Eselsfüllen fielen dem Kugelhagel der Armee zum Opfer.

An den Staatspräsidenten, den Innenminister, den Generalstabschef und den Staatsanwalt hat der Dorfvorsteher eine Petition geschrieben. Er will, daß die Mißhandelten vom Amtsarzt untersucht werden. Er benennt die ganze Dorfbevölkerung als Zeugen. Eine vierköpfige Parlamentarierdelegation der „Sozialdemokratischen Volkspartei“ besuchte jüngst das Dorf und redete mit den Bauern. „Erschütternd“, befand der Abgeordnete Adnan Ekmen: „Genau nach Plan wird Staatsterror praktiziert.“

Es herrscht Ausnahmezustand in den kurdischen Provinzen des Landes. Im Laufe der vergangenen zwei Wochen sind rund 1.000 Personen festgenommen beziehungsweise von zivilen Personen zum Verhör verschleppt worden. Das Wort „Verhör“ ist in diesen Landesteilen gleichbedeutend mit Folter. Ursache der Verhaftungswelle sind die Aussagen von zwei geständigen Mitgliedern der illegalen kurdischen Organisation PKK: Jeder Name, jede Adresse, die sie nennen, ist Zielscheibe der Armee. Ganze Ortsvereinsvorstände der Sozialdemokraten in der Region wurden - im Vorfeld der Kommunalwahlen, die im März stattfinden - verhaftet. Halil Akyuz, Vorstandsmitglied der Sozialdemokraten und Leiter der Parlamentarierdelegation, berichtet im Gespräch mit der taz, wie die offiziellen Stellen die Verhaftungswelle erklären: „Wir haben die Verantwortlichen gefragt, warum im Vorfeld der Wahlen in großem Maßstab Funktionäre unserer Partei verhaftet wurden. Sie haben uns geantwortet: 'Im Winter ziehen die Terroristen von den Bergen in die Städte und Dörfer'“. Die Polizeihaft, die in den Regionen unter Ausnahmezustand bis zu 30 Tagen dauern kann, ersetzt in Kurdistan gerichtliche Strafen. Besir Kurt, Ortsvorstandsmitgleid der Sozialdemokraten in Batman, wurde seit dem Militärputsch 1980 genau elfmal in Haft genommen. Mehrfach wurde er im Fernsehen als gefangengenommener Terrorist präsentiert. Jedesmal wurde er entweder gerichtlich freigesprochen oder es erging überhaupt keine Anklage gegen ihn. Auch er wurde im Januar verhaftet und wird zur Zeit „verhört“.

„Die Stadt gleicht einem Pulverfaß“, berichtet der Bürgermeister in der Kleinstadt Cizra, Tahir Vesel. „Unsere Bevölkerung lebt in panischer Angst“. 300 Personen sind in seinem Amtsbezirk festgenommen worden.

„Der Staat ist der Urheber von Provokationen“, meint der Abgeordnete Fuat Atalay, der erschüttert aus dem Dorf Yesilyurt zurückkehrte. Nach der öffentlichen Petition des Dorfvorstehers kamen wieder die Soldaten ins Dorf: In einem seit zehn Jahren nicht bewohnten Haus wurde eine Handbombe „gefunden“, die „Verhöre“ begannen. Der Dorfvorsteher mußte den Schlüssel der Schule dem Armeekommandanten übergeben. Frohe Kunde: Die Grundschule, in der seit Jahren kein Lehrer mehr unterrichtet, soll in einen Gendarmerieposten umgewandelt werden, um dem Terror Einhalt zu gebieten.

Ömer Erzeren

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen