SKA-TOLOGEN UNTER SICH

■ 1.Berliner Ska-Festival am Samstag im Quartier Latin

Schon Wochen vorher war Berlin mit dem Ereignis vollplakatiert, und am 28.Januar stieg die Party für 17 Mark. Vor der Eingangstüre wurde man von fummelnden Abtastern begrüßt, die gute Skins von bösen selektierten. Die „B-Boys“ blieben zu Hause, die „Rude Boys“ legten sich in Schale. Doch mehr unterbewußt. „Baggy Trousers„-, Parka und „Mod„-Anzugträger mit kleinen schmalen Hüten sprengten nur vereinzelt das Bild.

Mit zweistündiger Verspätung stieg „Yebo“, die erste von vier Gruppen, gegen 21 Uhr vor ausverkauftem Haus auf die Bretter. Die sieben Herren im gesetzteren Alter starteten den Abend mit gemütlich-gediegeneren Klängen für die ersten „Warm-up„-Übungen. Vorwiegend instrumentelle Stücke heizten mit flottem, bauchig-molligem Reggae-Ska und einem beachtlichen Bläsersatz (Trompete, Sax, Posaune) die Köpfe und die Hautdurchblutung an. Eine Masse aus Körpern und Köpfen federte zwischen Bühne und erster Sitzreihe hin und her, als ob dort ein Trampolin aufgestellt wäre. Die Sitzenbleiber hingegen glotzten bloß anteilnehmend nach vorn. Als dann „A message to you, Rudy“ von den „Specials“ ertönte - der erste Coversong des Abends - ging ein Jubeln durch die Menge, und die Leute johlten freiwillig mit.

Nach nur zehn Minuten Umbaupause servierten „The Butlers“, auch zu siebt aber halb so alt, abgehackt-zuckenden Ska, der sich an manchen Stellen mit geschwindigkeitsüberschreitendem Pogo paarte. Aus der friedlichen Tanzmenge wurde ein ekstatisch strampelnder Klops, der die erste Ohnmächtige produzierte. Der Sänger, so könnte Chris Howland mit 20 ausgesehen haben, rief die richtigen Ska-Tanzregeln wieder in Gedächtnis und hielt mit seinen Lispeleien bei Laune. Eine Beat-Gitarre und zwei Bläser bohrten sich in die Ohren. Die ersten „Monkey Men“ - Jungs in zu großen Anzügen und Hut, von den Mods der sechziger Jahre abgeguckt, deren vom Körper wegbewegende Arme und weggestreckte Hüften an Affen erinnern - ruckelten am Bühnenrand. Irgendwann hielt dann „My Girl“ von „Madness“ her, und der Shanty „What shall we do with a drunken sailor“ bekam nochmal eine neue Vertonung. Mit Selters und Bier in Kehlen und auf Köpfen versorgten die Bandmitglieder die in der Mitte gefangenen Auf-der-Stelle -Jogger.

Die kurzen Wechselpausen ließen kaum Zeit zum Ausruhen beziehungsweise, die ausgeschwitze Flüssigkeit wieder zu ersetzen. So klimperten dann „Blechreiz“ die Tobenden in Grund und Boden. Die Berliner Band bot zwar auch den typischen Ska-Rhythmus, fügte aber zwischendurch andere Elemente ein und gab der Revival-Musik ein paar progressive Varianten. Auf dem Balkon nickten nur einzelne Köpfe rhythmisch im Takt, der Rest schien hypnotisiert. Unten verlangsamten sich die Bewegungen des wogenden Mobs zusehends. Entweder waren das die ersten Ermüdungszustände oder die Unzufriedenheit über die Neuinterpretation des alten Ska. Aber „Blechreiz“ waren ja nicht dumm. Trompeter und Sänger wackelten als Vortänzer, und mit der James-Bond -Titelmelodie, die auch schon „The Selector“ Ende der Siebziger verskaat hatten, war wieder alles im Lot.

Die Uhr ging auf Mitternacht. Seit drei Stunden klatschte nichts als schneller und langsamer, runder und Stakkato-Ska an die Wände. Doch die Fans waren immer noch nicht satt. Als Hauptact stellten sich „Skaos“ aus München zur Schau, nachdem sie vorher die Embleme der anderen Gruppen von den Wänden entfernen ließen. Irgendwie mußte es aber mal genug sein. „Skaos“ waren wieder mehr auf instrumentelles Repertoire eingestellt, und zwar so konventionell -mainstreamig, daß sich die Bänke auf dem Balkon schlagartig leerten. Für den objektiven Betrachter reichte es mindestens jetzt, zumal die sieben Bayern nichts Herausragendes zu bieten hatten, außer einen dicken Bassisten mit Torwart -Kräuselwelle. Nur die da unten vor der Bühne ließen sich durch nichts von ihren Zuckungen abbringen.

Ich als Außenstehende habe mich wunderbar unterhalten, nur Fotograf Owsnitzki zeterte was von „altem Kram“. Murrend versank er auf der Suche nach Motiven mit Blitzlicht im Schwitzgewitter. Dann sah ich ihn nicht mehr.

Connie Kolb