Rot, Grün, Braun

Zum Gespenst der Großen Koalition  ■ K O M M E N T A R

Eben hatten sich die Hochrechner noch wegen des Wahlergebnisses verschluckt, da wird schon zur Flucht in die „Solidarität der Demokraten“ getrieben. Die Große Koalition wird beschworen, der Geist von Mompgen spukt. Berliner Provinzpolitiker sorgen sich um die Rettung der Weimarer Politik, und Kommentatoren raten, wegen 8,5 Prozent Rechter zur Penetration von Sumpf mit Filz. Die CDU ist gescheitert, sich bis zur Wahl „durchzufeiern“. Als korrupte Verwalter von Subventionopolis glaubten sie die Macht in Erbpacht zu haben. Großstadtinszenierungen hat die CDU geboten, ein Angebot für westdeutsche Zahnärzte und nicht für den Normalberliner.

Erbschaft der CDU-Niederlage ist vor allem aber der Triumph der Republikaner. Zum ersten Mal gab es in der ehemaligen Frontstadt einen Test mit den Rechtsradikalen. Hätte ein Lummer den rechten Rand binden können? Wohl kaum. Denn die CDU hatte außer der Machterhaltungsroutine kein Konzept der multi-kulturellen Stadt. Eine Stadt, in der sich die Bevölkerungsteile, Ausländer, frustrierte Mitte, Jugend, alternative Szene, Armut sowohl gegeneinander abdichten als auch vermischen, in der Ghettoiserung als auch Kulturmischung miteinander streiten, muß Spannungen, Extreme hervortreiben. Vor allem aber: eine Stadt am Tropf ohne eine Utopie einer anderen Lebensform muß zum Streit am Tropf, zum Ausländerhaß führen. 8,5Prozent Rebublikaner - eine Gefahr für die Demokratie? Zunächst einmal ist auch dies Berlin, und zur Demokratie gehört es auch, daß antidemokratische Bewegungen in die parlamentarische Auseinandersetzung kommen. Und die Linke, die immer dann erkältet war, wenn die Republikaner husteten, haben diese Partei erst recht zum interessanten Underdog aufgebaut. In Zukunft wird auch die Linke mit größerer Genauigkeit prüfen müssen, wer eigentlich diese Republikaner gewählt hat - Rechtsradikale oder um sich schlagende Kleinbürger.

Der Sieg der kontaktgehemmten Partner SPD-AL ist ein Paradox. Die Idiotie des Wahlkampfes hat als einziges die Argumente übriggelassen. Die SPD hat sich geradezu vor einer Koalitionsaussage geflüchtet. Der Wähler hat trotz alledem Rot-Grün gewählt. Ein Schrecken für die ÖTV-Fundamentalisten und ein guter Grund für eine veritable AL-Krise, die sich plötzlich bei ihrem koketten Koalitionsangebot beim Wort genommen sieht. Allein dieser Triumph, wie auch der Triumph der Republiakner ist nicht ohne die drittstärkste Partei zu erklären: die Nichtwähler. Selten waren die Berliner über die Geistlosigkeit und den Mangel diskussionsfähigen Alternativen in diesem Wahlkampf empört. Es ist ein Wahl von SPD und AL, aber auch eine Abwahl der Parteien. Ein unendlicher Frust und ein überstarker utopischer Druck lastet auf der Stadt. Die alternativen werden noch gesucht. Schon deswegen wäre eine großen Koalition ein Verhängnis. Sie würde den politischen Sektor noch weiter gegenüber der Stadtgesellschaft isolieren, die Extreme gedeihen lassen und vor allem ein Desaster für die SPD bedeuten. Schon jetzt kann man sagen: Völker der Welt, schaut auf diese Stadt 8,5 Prozent Rechtsradikale. Nach der Großen Koalition wird es nicht bei 8,5 Prozent bleiben.

Klaus Hartung